Prof. Dr. Walter Hinderer, Germanist und Literaturwissenschaftler

»Carl Bernhard war ein Kosmopolit«

Herzog Carl Bernhard erfüllte sich in den Jahren 1825 und 1826 einen Kindheitstraum und bereiste große Teile der Vereinigten Staaten von Amerika und Kanada. Im Interview spricht Walter Hinderer, emeritierter Professor of German an der Princeton University, über die Faszination der Reiseaufzeichnungen Bernhards und deren Bedeutung für die heutige Zeit.

Herr Hinderer, Sie leben und lehren seit 50 Jahren in den Vereinigten Staaten. Haben Sie eigene Erfahrungen oder Erlebnisse in Herzog Carl Bernhards Reiseaufzeichnungen wiedergefunden?

Schon bei meiner ersten Lektüre von Herzog Bernhards amerikanischem Reisetagebuch, das Alexander Rosenbaum und ich zum ersten Mal vollständig in einer umfangreichen Publikation mit Abbildungen und relevanten Dokumenten edieren, fielen mir Parallelen auf, die mich wieder, frisch aus Europa eintreffend, an meine ersten Eindrücke und Erfahrungen im Jahr 1966 erinnerten. Nachbarn hatten unseren Kühlschrank zum »Willkommen« mit den wichtigsten Lebensmitteln gefüllt und uns gleich schriftlich am Tag darauf zum Dinner eingeladen. Die spontane Herzlichkeit und Aufgeschlossenheit hat uns noch ebenso überrascht wie Prinz Bernhard 141 Jahre früher.

Meine Frau und ich staunten wie der Weimarer Prinz in den Jahren 1824 und 1825, dass im Norden und Süden die Läden nicht nur bei Tag, sondern auch bis in die Nacht geöffnet waren, was übrigens auch für die amerikanischen Universitätsbibliotheken galt und auch heute noch gilt.

Ebenso fielen uns wie dem Prinzen auf, dass man nicht nur im Süden, sondern auch im Norden Amerikas in vielen Gasthöfen und Hotels im oder auf dem Nachttisch eine Bibel vorfand. Wenn der Prinz sich über die Vielzahl der Kirchen in den amerikanischen Städten verwunderte, so machten wir gleich in New York eine ähnliche Erfahrung.

Das scheint sogar Goethe, der sich mit dem Tagebuch eingehend beschäftigte, zu einem Kommentar in »Maximen und Reflexionen« angeregt zu haben, in dem er, ähnlich wie später Alexis von Tocqueville, von einer Tendenz spricht, »die weltlichen und geistlichen Institutionen der Gesellschaft in einheitlicher Weise zu regeln« und gewissermaßen »die Erde mit dem Himmel zu versöhnen«. In der Tat schlossen in Amerika von Anfang an »Politik und Religion ein Bündnis, das nie aufgelöst worden ist«.

Gemeinsam mit Alexander Rosenbaum bereiten Sie die Publikation des Reisetagesbuchs vor. Was ist das Spannende an den Aufzeichnungen, gerade in Bezug zur heutigen Zeit?

Alexander Rosenbaum und ich staunten immer aufs Neue über die Vielseitigkeit der Interessen, die Sachkenntnis und scharfe Beobachtungsgabe des jungen Herzogs, verbunden mit einer besonderen Darstellungsgabe wissenschaftlicher Entdeckungen und Erfindungen, vielversprechender Maschinen, die zu Fortschritten in der Seidenherstellung und in der Baumwollindustrie führten, ebenso im Schiffs- und Städtebau.

Er schildert Land und Menschen, den unterschiedlichen Alltag in den verschiedenen Staaten, die öffentlichen Einrichtungen, Sitten und Gebräuche ebenso anschaulich wie die eindrucksvolle und abwechslungsreiche Natur, die üppige Vegetation, die Fauna und Vogelwelt.

Als Zweitgeborenem blieb Herzog Carl Bernhard von Sachsen-Weimar-Eisenach die politische Macht verwehrt. Empfand er das als Schmach oder genoss er es, frei von Regierungszwängen handeln und reisen zu können? Wie würden Sie Carl Bernhard charakterisieren?

Prinz Bernhard besaß eine besondere Begabung in der Mathematik, im Zeichnen und zudem einen scharfen, analytischen Verstand. Er, der sich früh für die militärische Laufbahn entschied, war sich stets bewusst, dass er sich trotz einer sicheren Position in den Niederlanden nach neuen Berufsmöglichkeiten umsehen sollte – auch wegen seiner kinderreichen Familie. In einem längeren Brief an Friedrich Gabriel Sulzer schrieb er unter anderem: »Wenn ein Militär, der kein anderes Metier als dieses kennt, in den Privatstand zurücktreten will, so thut er nach meiner Ansicht am Besten den eines Landmanns zu wählen.«

Die Amerikareise hatte also durchaus auch einen praktischen Sinn: Er wollte »das dortige Terrain kennenlernen«, um vielleicht ein geeignetes »Etablißement« zu finden. Seinem Vater gesteht er außerdem, dass er »Lust habe einmal etwas anderes zu thun als die anderen Prinzen«, nämlich »im Innern von Amerika Land urbar zu machen, und mir und meinem Sohn späterhin eine völlig freie Existenz zu bereiten«.

»Statt deßen kann ich sagen daß ich auf keiner meiner vielen Reisen der Gegenstand so feiner Attentionen gewesen bin als hier«, schrieb Carl Bernhard an seinen Vater. Welche politische Bedeutung hatte die Reise? Immerhin war er einer der ersten Vertreter des europäischen Hochadels, der den Kontinent besuchte.

Es ist zweifelsohne erstaunlich, wie mühelos Prinz Bernhard Zugang sowohl zur amerikanischen High Society als auch zu Vertretern der Berufe des Mittelstandes fand. Zum Teil halfen die mannigfachen internationalen Beziehungen, über die der Weimarer Hof verfügte, zum Teil gingen auch wichtige Einladungen und Begegnungen auf die eigene Initiative des erstaunlich urbanen und gut durch entsprechende Lektüre vorbereiteten 33-jährigen Herzogs zurück.

Er scheint außerdem in der Fremde stets den richtigen Ton getroffen zu haben und verfügte dazu  über einen erstaunlich üppigen Briefwechsel mit alten und neuen Bekannten in den Vereinigten Staaten. Selbst wenn er bei aller Bewunderung Kritik übte, lassen sich bei ihm keine Spuren aristokratischer oder europäischer Arroganz feststellen.

Er war in der Tat ein Kosmopolit, wie ihn Wieland in seinem Essay »Das Geheimnis der Kosmopoliten-Ordens« 1788 beschrieben hat und gehörte lange vor dem 20. Jahrhundert zu dem Typus des globalen Menschen, dessen Geburt Max Frisch, der Schweizer Schriftsteller und häufiger Besucher in den Vereinigten Staaten, erwartet hat.

Welche Erkenntnisse und Kuriositäten brachte Carl Bernhard von seiner Reise mit?

Herzog Bernhard brachte von seiner Reise alle möglichen Kuriositäten mit, interessante Versteinerungen, Proben von seltenen Pflanzen, Indianerschmuck, Indianertrachten und Indianerwaffen von verschiedenen Stämmen. Seine Erkenntnisse waren so vielseitig, dass es sich empfiehlt, das ganze Tagebuch zu lesen.

Ob es sich um verschiedene Sekten, die Shakers, Quäker, oder die sozialistischen Experimente von Robert Owen und dem Pietisten Johann Georg Rapp handelt, überall sammelte er wertvolle Erfahrungen, die zu seiner vielseitigen Bildung beitrugen.

Er hatte, so muss man unbedingt erwähnen, das Glück, namhaften Repräsentanten der amerikanischen Republik wie John Adams, dessen Sohn, Präsident John Quincy Adams, und Thomas Jefferson zu begegnen, der ihn sogar eingeladen hat, auf seinem Landgut Monticello zu übernachten. Kein Wunder, dass Prinz Bernhard während seiner Amerikareise Franklins Spruch zum persönlichen Glaubensbekenntnis erhob, nämlich: »Where liberty dwells, there is my country.«

Walter Hinderer

Walter Hinderer, geboren 1934 in Ulm, studierte Philosophie, Geschichte und englische Literatur in Tübingen und München und wurde mit einer Arbeit über Hermann Broch promoviert. Bevor er 1978 an die Princeton University kam, unterrichtete er an den Universitäten in Pennsylvania, Colorado, California und Maryland. Sein Forschungsschwerpunkt ist die deutsche Literatur, Philosophie und Geschichte vom 18. bis zum 20. Jahrhundert.

Die Kabinettausstellung »Ich wollte die neue Welt sehen. Die Amerikareise von Herzog Carl Bernhard von Sachsen-Weimar-Eisenach« kann bis zum 28. August 2016 im Stadtschloss Weimar besichtigt werden. Sie ist Teil der Thüringer Landesausstellung »Die Ernestiner. Eine Dynastie prägt Europa«.

Die Publikation »Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar-Eisenach: Das Tagebuch der Reise durch Nord-Amerika in den Jahren 1825 und 1826«, herausgegeben von Walter Hinderer und Alexander Rosenbaum, ist in Vorbereitung.

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