Dr. Ulrike Lorenz ist seit 1. August 2019 Präsidentin der Klassik Stiftung Weimar. Foto: Candy Welz

Drei strategische Gedanken
zur Klassik Stiftung Weimar

Für mich fühlt sich die Klassik Stiftung Weimar wie ein Kontinent an, den es geistig zu erobern und pragmatisch auf Zukunft auszurichten gilt. Ein Kontinent, den wir – das große, wunderbare Team und ich – überlebensfähig machen wollen, in einer sich rasant wandelnden, globalen Welt, die nichts sehnlicher wünscht (und braucht) als Orientierung. Die Klassik Stiftung ist aber vor allem eines: lebendig. Daher müsste sie besser als komplexer Organismus angesprochen werden, der Sorgfalt und Fürsorge erfordert. Ein Organismus, von dem im Gegenzug nicht nur Kulturverdichtung und Wissensanhäufung, sondern gelegentlich auch etwas ganz Extraordinäres, vielleicht sogar erschütternd Verrücktes zu erwarten ist.

1. „Zukunft braucht Herkunft“ – Herkunft braucht Zukunft (Odo Marquard)

Die Klassik Stiftung Weimar definiert sich als „Einheit in der Vielfalt“.

Ganz pragmatisch geschieht das erstens in der Konzentration um und auf einen Kern, eine Mitte. Die Mitte ist das Schloss – historisch und topographisch, in Dimension und Anspruch. Das Schloss ist eine kritische Größe. Es ist unsere größte Baustelle, in jeder Hinsicht. Sie darf nicht zu einer Investruine ohne Publikum werden. Das wäre wie ein Organismus ohne Herz. Ich ahne, dass wir dafür noch einen überzeugenden und realisierbaren Masterplan zu entwickeln und viele substantielle Partner in Deutschland und darüber hinaus zu gewinnen haben.

Zweitens gestalten wir eine gemeinsame Digitale Strategie als entscheidenden Zukunftstreiber. Sie umfasst nicht nur das wissenschaftliche Fundament eines sammlungsübergreifenden Katalogs, sondern auch die Erweiterung unserer Kommunikationskanäle hin zu einer jüngeren Generation und neue Angebote für kulturelle Bildung, die Wissenschaft in Alltagswissen übersetzt. Die digitale Transformation der Klassik Stiftung dient unserer Orientierung nach außen und in die Zukunft.

Benjamin-Immanuel Hoff, Chef der Staatskanzlei des Freistaates Thüringen, Thüringer Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten und Vorsitzender des Stiftungsrates der Klassik Stiftung Weimar, Foto: Johanna Ozou

Benjamin-Immanuel Hoff, Chef der Staatskanzlei des Freistaates Thüringen, Thüringer Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten und Vorsitzender des Stiftungsrates der Klassik Stiftung Weimar, Foto: Johanna Ozou

2. „Not accumulation but change“ (Charles Olson)

Die Klassik Stiftung vollzieht einen Perspektivwechsel von der Geschichte in die Gegenwart und Zukunft. Sie begreift kulturelle Aneignung als kritische Transformation.

Die Klassik Stiftung ist ein Werkzeug der Weltbeobachtung, Weltbeschreibung und Weltbearbeitung. Wir nehmen uns vor, ein tragfähiges Zukunftsnarrativ zu entwickeln und dieses mit dem Anspruch zu verbinden, uns bei der Bewältigung unserer Lebensfragen heute zu helfen. Konzentrieren wir kühn unsere intellektuellen Ressourcen auf einen orientierenden Entwurf für unser Zeitalter, das neben den alten ungelösten Menschheitsfragen völlig neue Existenzherausforderungen zu bewältigen hat – vom Demokratieschwund über den Klimawandel bis zur weltpolitischen Risikolandschaft. Machen wir die Klassik Stiftung Weimar zu einem Thinktank für Gesellschaft und Politik heute und machen wir sie mit diesem Impuls zu einer nationalen Angelegenheit. Stellen wir ihre gesellschaftliche Relevanz unter Beweis.

Dr. Ulrike Lorenz ist seit 1. August 2019 Präsidentin der Klassik Stiftung Weimar. Foto: Johanna Ozou

Dr. Ulrike Lorenz ist seit 1. August 2019 Präsidentin der Klassik Stiftung Weimar. Foto: Johanna Ozou

3. „Ich setze auf Gegenwart.“ (Goethe zu Eckermann)

Die Klassik Stiftung versteht sich in ihrem Wirken politisch. Sie ist der Gesellschaft der Gegenwart und ihren Existenzfragen verpflichtet. Sie trägt Mitverantwortung für die Zukunft der Demokratie. Auf dieser Grundlage entwickelt die Klassik Stiftung national und international Wirksamkeit und Strahlkraft.

Die Klassik Stiftung wird zu einem Zentrum gesellschaftlicher Orientierungsdebatten in Deutschland. Zur Diskussion stehen Kulturbegriff und Wertekanon, die Zukunft der Demokratie in unserem Land und die digitale Transformation, Integration und Identität. Wie soll, wie muss die Gesellschaft von morgen aussehen? Es gilt die weithin frustrierte Distanz zu Politik, Wirtschaft und Kultur in diesem Land zu überwinden. Und es ist an uns, durch geistige und kulturelle Orientierung Zuversicht zu vermitteln, einen Stilwechsel zum Positiven zu gestalten.

Die Klassik Stiftung Weimar wird sich öffnen und ihre Orientierung von innen nach außen, vom Passiven ins Aktive wenden. Unser tägliches Tun sei durch die Frage bestimmt: Wie profitiert unser Publikum vom Ergebnis unserer Arbeit?

Impression der öffentlichen Amtseinführung am 20. August im Innenhof des Stadtschlosses, Foto: Johanna Ozou

Impression der öffentlichen Amtseinführung am 20. August im Innenhof des Stadtschlosses, Foto: Johanna Ozou

Was mir persönlich sehr wichtig ist: Die Klassik Stiftung arbeitet in einer großen geschichtlich-geistigen Tradition, die nicht nur von beglückenden Harmonien und kulturellen Spitzenleistungen geprägt ist, sondern auch von einem unvereinbaren Gegensatz: jenem zwischen Humanität und Barbarei. Das macht uns sehr feinfühlig für die Gefahr und den Widersinn eines eindimensionalen, ausschließenden und zementierten Begriffs von Identität. Stattdessen gilt es, die Sammlungen und Ideen der Klassik Stiftung auf den hybriden Reichtum ihrer Quellen, Zusammensetzungen und Austauschbeziehungen hin zu befragen – und zu erleben, wie Kunst und Kreativität, Inspiration und Innovation in Weltoffenheit, Wissbegier und im Wechselverkehr mit fremden Kulturen, in der Integration anderer Perspektiven wurzelt.

Die Bildungsfunktion der Klassik Stiftung wird sich daher nicht mehr allein in Identitätsstiftung erschöpfen, sondern auf „Fremdheitsvermittlung“ (Peter Sloterdijk) ausdehnen. Mit diesem Perspektivwechsel rückt eine menschliche Grunderfahrung in den Fokus: Alterität und Fremdheit. Die Stiftung wird sich zum Ort der Wertschätzung von Differenz und Differenzierung entwickeln.

Dr. Ulrike Lorenz

Nach dem Studium der Kunstwissenschaft und Archäologie an der Universität Leipzig wurde Ulrike Lorenz Direktorin der Kunstsammlung Gera mit Otto Dix Haus und leitete ab 2002 zudem das Stadtmuseum Gera. 1999 folgte die Promotion an der Bauhaus-Universität Weimar. Von 2004 bis 2008 war Ulrike Lorenz Direktorin des Kunstforums Ostdeutsche Galerie in Regensburg, von 2009 bis 2019 Direktorin der Kunsthalle Mannheim. 2018 eröffnete sie den Neubau der Kunsthalle Mannheim mit dynamischem Museumskonzept und Digitalstrategie.