Schwarze Romantik und der "wilde Schweizer"
Bis 1. September läuft „L’Allemagne romantique“ im Petit Palais, Paris. Hermann Mildenberger, Leiter der Graphischen Sammlungen der Klassik Stiftung und Kurator der Ausstellung, im Interview.
Herr Mildenberger, was interessiert die Franzosen an der deutschen Romantik?
Zunächst eigentlich gar nichts. Sie kennen fast nur einen Künstler: Caspar David Friedrich. Das ist ein Name, den kennt man auch in England und den USA.
Sie nutzen die Werke Friedrichs gewissermaßen als Türöffner…
… um die anderen Künstler zu zeigen. Wir haben sämtliche Caspar David Friedrichs nach Paris gebracht, weil die Franzosen meinten, ohne ihn ginge es nicht. Vielleicht hat man mal den Namen Tischbein gehört oder Runge, kann aber nicht wirklich viel damit anfangen. Goethe kennt man natürlich, ist aber völlig erstaunt, dass er auch gezeichnet hat. Generell habe ich den Eindruck, dass in Frankreich das Wissen über Deutschland immer weniger wird, sich immer weniger Menschen mit der deutschen Kultur auseinandersetzen. Das steht im völligen Gegensatz zu dem, was wir hier in Weimar denken, wo unsere Stadt als so kulturtragend und bedeutend wahrgenommen wird. Allein unter dem Label „Weimar“ hätte die Ausstellung niemanden interessiert. Die Romantik-Saison in Paris war also ein großes Glück, so dass wir die deutsche Romantik neben der Pariser Romantik und der literarischen Romantik präsentieren können und diese drei Ausstellungen gemeinsam beworben werden. Es war ein weiterer Glücksfall, dass die Presse – das Feuilleton vom „Figaro“ oder der „Revue des deux Mondes“ –, Fernsehen und Rundfunk sehr positiv berichtet haben. Der Besucherzustrom ist enorm.
Die Ausstellung „L‘Allemagne romantique“ zeigt ausschließlich Werke aus der Weimarer Sammlung. Wie kam es zur Kooperation?
Die Kooperation entstand durch eine alte Freundschaft zwischen mir und Christophe Leribault, der früher in der graphischen Sammlung des Louvre arbeitete und dann Direktor des Petit Palais wurde. Er hatte immer ein Interesse an Weimar und wir wollten schon länger eine gemeinsame Ausstellung machen. Eine große Weimar-Schau wäre für das Petit Palais zu regional gewesen, aber durch die saison romantique ergab sich jetzt die Chance.
Kooperationen zwischen Weimar und Paris haben ja eine gewisse Tradition.
Die frühesten Kontakte gab es bereits zur Goethezeit, Goethe hat sich sehr für Paris interessiert. Wilhelm von Humboldt, der um 1800 mehrere Jahre in Paris war, hat ihm von dort Zeichnungen und Druckgrafiken geschickt, die sich nun in unserer Graphischen Sammlung befinden. Goethe hatte bereits in Rom französische Künstler kennengelernt, sich ein Netzwerk aufgebaut und über dieses französische Kunst gesammelt. Es gab auch enge familiäre Beziehungen des Hauses Sachsen-Weimar, nachdem eine Enkelin von Carl August den französischen Thronfolger geheiratet hatte. Deshalb haben wir Künstler in unserer Sammlung, die von König Louis-Philippe geschätzt wurden. Der große Zeichnungssammler Carl Ruland hatte seit den 1860er-Jahren starke Verbindungen nach Paris und hat impressionistische Druckgrafik gekauft. Harry Graf Kessler hat dann in der kurzen Zeit, die er Direktor des Kunstgewerbemuseums war, sehr viele Ausstellungen zum französischen Impressionismus und Neo-Impressionismus gemacht, da kam eine Ausstellung nach der anderen. Kessler war mit Künstlern wie Auguste Rodin und Aristide Maillol befreundet und hatte Kontakte zu Galeristen, die diese französische moderne Kunst vertreten haben. In diesem Netzwerk war er voll drin. Nach Kessler und dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges war Sendepause.
Die in Paris gezeigten Werke stammen zum Großteil aus Goethes privater Sammlung oder der großherzoglichen Sammlung, die ebenfalls Goethe anlegte. Nach welchen Kriterien hat er gesammelt?
Goethe ist ja ein Vater der deutschen Kunstgeschichtsschreibung, er hat enzyklopädisch gesammelt. Er wollte eine kunsthistorisch verlässliche Sammlung aufbauen, die die europäische Kunst widerspiegelt, von der Renaissance bis zu seiner Gegenwart. Es gab in Weimar aber nicht die Mittel, das mit Gemälden zu tun wie etwa in Dresden. Also sammelte Goethe Zeichnungen und Druckgrafiken, also Kunst auf Papier. Er hat natürlich die bevorzugt, die ihm besonders gefielen, aber er hat auch Künstler als Belegstücke gesammelt für bestimmte Entwicklungstendenzen.
Caspar David Friedrich hat er relativ kritisch gesehen. Er fand ihn technisch sehr gut, aber das übersteigerte Romantische, das war ihm zu krank. Er wollte ja eigentlich Caspar David Friedrich zum Klassizisten erziehen, dass er weniger melancholisch und ausgeglichener sei. Friedrich stand für ihn, auch wenn man ihn in Weimar sammelte, auf der Kippe.
In der Ausstellung sind auch Werke von Johann Füssli zu sehen, teilweise zum ersten Mal. Was ist das Besondere an Füsslis Werk?
Füssli ist die wirkliche Überraschung und die Sensation dieser Ausstellung. Das Besondere an Füssli ist natürlich dieser äußerst überzogene frühromantische Stil. Das ist eine exzessive und expressive schwarze Romantik. Es ist eine Vorform, aber ohne die Protoromantik von Füssli hätte es keine Romantik gegeben. Sie ist sehr emotional übersteigert, geht auch sehr ins Sensuelle und Sinnliche. Die deutsche Romantik ist dann oft nicht mehr sehr sinnlich. In England nannte man Füssli sogar „the wild Swiss“, den wilden Schweizer.
Neben Füssli und Friedrich, welches sind Ihre Lieblingsobjekte in der Ausstellung?
Es gibt zum Beispiel eine Zeichnung von Tischbein, die auch Schopenhauer inspiriert hat, „Der lange Schatten“. Das ist eine ganz außergewöhnliche Sache. Das gefällt auch den Franzosen, weil es ungewöhnlich ist. Insgesamt ist die Schau ein Gesamtüberblick aller wichtigen Künstler der Romantik, bis zur Spätromantik, bis zu Schwind. Erstaunlicherweise haben die Franzosen auch Franz Kobell genommen, der in der breiten Öffentlichkeit nicht sonderlich bekannt ist, aber seine „Ideallandschaft“ war für sie der Inbegriff der deutsche Romantik: nachts und Vollmond.
Wann findet wieder eine Ausstellung der Grafischen Sammlung in Weimar statt?
Im kommenden Jahr wird es hier in Weimar die Ausstellung „Mehrfachbegabungen“ geben. Dort zeigen wir Werke von Künstlern, die sowohl gezeichnet als auch geschrieben oder komponiert haben, wie zum Beispiel E.T.A. Hoffmann oder Arnold Schönberg, und die in beiden Disziplinen gewissermaßen gleichrangig waren. Wir haben beispielsweise Schiller nicht aufgenommen, nur weil es von Schiller auch ein paar Zeichnungen gibt. Es ist aber zum Beispiel Victor Hugo dabei, weil er sowohl als Zeichner wie auch als Schriftsteller hervorragend ist. Oder George Sand, die als Schriftstellerin wie als Aquarellmalerin hervorragend ist. Goethe ist natürlich dabei, weil er auch ein bedeutender Aquarell- und Landschaftsmaler war. Außerdem Salomon Gessner und natürlich Wilhelm Busch. E.T.A. Hoffmann mit seinem zeichnerischen, schriftstellerischen und kompositorischen Werk war gleich dreifach begabt.