»Seitensprünge« im Liebhabertheater
Silke Gablenz-Kolakovic, künstlerische Leiterin des Liebhabertheaters Schloss Kochberg und Regisseur Holk Freytag im Interview zum Saisonstart.
Das diesjährige Sommerfestival steht unter dem Titel »Seitensprünge«. Was steckt dahinter?
Silke Gablenz-Kolakovic: Die Aufführungen und Konzerte unseres Sommerfestivals setzen sich mit dem Thema »Seitensprünge« auseinander, beleuchten Abgründe und Unwägbarkeiten der Liebe oder besingen Liebesfreuden und -schmerzen. Am 12. Mai ist Premiere für unsere diesjährige Schauspiel-Neuproduktion »Die Wahlverwandtschaften«. Wir freuen uns, dass wir einen so bekannten und erfahrenen Regisseur wie Holk Freytag dafür gewinnen konnten, der für uns auch die Bühnenfassung nach Goethes Roman schrieb.
Weiterhin stehen zwei Kochberger Publikumsrenner auf dem Plan: In Molières Komödie »Der Misanthrop« geht es um Lug und Trug, um Toleranz und Intoleranz in der Liebe. Peter Hacks´ Ein-Personen-Schauspiel »Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe« zeigt uns eine verlassene Frau, gespielt von Barbara Schnitzler vom Deutschen Theater Berlin. Hochkarätige Konzerte mit Werken aus Barock, Klassik und Romantik nehmen ebenfalls Bezug auf das Jahresthema, einige werden auf historischen Originalinstrumenten gespielt. Herzschmerz, wohl dosiert, ist beispielsweise beim Konzert »Oh Joyous Pain of Love« mit Philipp Mathmann angesagt, einem »rising star« unter den Countertenören, am 16. Juni. Das Sommerfestival endet mit einem der größten »Schlawiner« der Theatergeschichte, dem »Falstaff«.
Neu im Programm: Goethes »Wahlverwandtschaften« als Schauspiel. Er selbst nannte es sein bestgelungenes Werk, die zeitgenössische Kritik schien weniger begeistert. Was reizt Sie persönlich am Thema des Romans?
Holk Freytag: Dass Goethes zeitgenössische Kritik die »Wahlverwandtschaften« wenig begeistert aufgenommen hat, verwundert nicht. Es ist eines der weitsichtigsten Werke Goethes. Es nimmt Erkenntnisse der Psychoanalyse ebenso voraus, wie es eine heutige Sicht auf die Entwicklung der Geschlechter zueinander vorwegnimmt. Der Text hat die Radikalität von Heiner Müllers »Gefährliche Liebschaften« und die Leidensdimension einer Strindberg-Tragödie. Goethe zeichnet seine Figuren mit dem Skalpell, ohne seine innere Anteilnahme an ihrem Schicksal jemals zu verleugnen. In den »Wahlverwandtschaften« treffen Marivaux, Cechov und Strindberg aufeinander.
Silke Gablenz-Kolakovic: Das Werk wirft Fragen auf, die uns heute – wie Holk Freytag so prägnant beschreibt – sehr aktuell bewegen. Der Roman hat dazu noch einen besonderen Bezug zu Schloss Kochberg: Er spielt auf einem Landsitz mit Park. Das ihm so vertraute Schloss Kochberg wird in Goethes Vorstellungswelt bei der Entstehung des Werkes eine Rolle gespielt haben. Sicher inspirierte der Roman Carl von Stein im frühen 19. Jahrhundert bei der Umgestaltung des Kochberger Schlossparks zu einem Landschaftspark, der heute wiederum die Umgebung für unsere Aufführungen im Liebhabertheater bildet.
Das Liebhabertheater hat sich dem Grundsatz der möglichst werkgetreuen Inszenierung verpflichtet. Nun sind »Die Wahlverwandtschaften« ursprünglich ein Roman. Wie sind Sie vorgegangen?
Holk Freytag: Die Bearbeitung für das Liebhabertheater hält sich sehr eng an das Original. Die übergroße Mehrheit der Dialoge sind original dem Roman entnommen oder von der indirekten in die direkte Rede überführt worden. Es ging mir bei der Adaption für die Bühne in erster Linie darum, die Stationen in der psychischen Entwicklung der Figuren festzuhalten. Die Figur des Erzählers muss bei einer Adaption für die Bühne naturgemäß wegfallen. Kommentierende Haltungen des Erzählers zum Geschehen sind in die Zeichnung der vier Figuren, auf die sich die Bühnenbearbeitung beschränkt, eingegangen. Ich habe versucht, die wichtigsten Stationen auch der Handlung festzuhalten und Reduktionen nur da vorzunehmen, wo sie dem Hauptstrang der Handlung entbehrlich schienen. Bei der szenischen Realisierung haben wir uns um eine möglichst strenge Erzählweise bemüht, ohne schauspielerische Prozesse, die heutiger Praxis entlehnt sind, zu vernachlässigen. Schließlich entspricht dieser Umgang mit dem weit in die Zukunft gerichteten Goethe-Text dessen Aktualität.
Was erwartet uns in den kommenden Jahren im Liebhabertheater?
Silke Gablenz-Kolakovic: Das Sommerfestival 2019 widmen wir dem Thema »Orient und Okzident« und nehmen dabei Bezug auf das 200-jährige Jubiläum von Goethes »West-Östlichem Divan«. Dabei werden sowohl Gedichte aus dem »West-Östlichen Divan« zu hören sein als auch ältere und aktuelle Texte aus dem Orient.
Höhepunkt wird unsere erste internationale Opern-Koproduktion: Zusammen mit der renommierten lautten compagney BERLIN bringen wir Joseph Haydns opera buffa »Der Apotheker« (»Lo Speziale« – Libretto nach Carlo Goldoni) entsprechend der historischen Aufführungspraxis ihrer Entstehungszeit auf die Bühne. Die musikalische Leitung hat Wolfgang Katschner, Regie führt Nils Niemann, Spezialist für historische Bühnenkunst. Nach unserem Sommerfestival wird die Oper im Teatru Manoel in Valletta gezeigt, auf der Insel Rügen wird sie im Juli 2020 Teil des Jubiläumsfestes »200 Jahre Theater Putbus«. Oft werden wir gefragt, was diese Oper denn mit dem Thema »Orient und Okzident« zu tun habe. Sie hat! Lassen Sie sich überraschen!