Carl Ruland, nach 1870, © Klassik Stiftung Weimar

Telegramm von Dr. Ernst Becker an Carl Ruland, 18. Juni 1859, Privatbesitz

Carl Ruland (links) mit Dr. Ernst Becker, © Lotte Hoffmann-Kuhnt

Carl Ruland, 1906, © Klassik Stiftung Weimar

Ruland intim I:
Privatsekretär der Royal Family

»Zehn Minuten vor 11 starb der Prinz!«

Diese knappen Worte schreibt Carl Ruland am 14. Dezember 1861 aus Windsor Castle an seine Eltern. Für den gerade einmal 27-jährigen Privatsekretär ist der Tod Alberts von Sachsen-Coburg-Gotha, Prinzgemahl der Königin Viktoria von England und Irland, mehr als nur der Verlust seines Dienstherren.

»Sein Tod ist ein Unheil für seine Familie, für England, für ganz Europa“, schreibt Ruland ergriffen. »Was er als Mensch war, davon kann niemand besser reden als ich; hat er mich doch von der ersten Stunde an fast wie einen Sohn behandelt.«

Carl Ruland, nach 1870, © Klassik Stiftung Weimar

Carl Ruland, nach 1870, © Klassik Stiftung Weimar

Zwei Jahre zuvor, am 18. Juni 1859, erreicht um 17.45 Uhr ein Telegramm die Hasengasse in Frankfurt am Main. Der Absender: Windsor Castle. Ruland ist zu diesem Zeitpunkt noch Deutsch- und Französischlehrer an der Frankfurter Musterschule – eine Anstellung, die deutlich unter seiner Qualifikation liegt.

Was ihn in seiner Geburtsstadt Frankfurt hält, sind vor allem seine Eltern, deren einziges Kind er ist. Doch als am Abend des 18. Juni die folgenden Zeilen aus England eintreffen, ändert sich alles.

»Es ist sehr wünschenswerth, daß Sie sogleich kommen telegraphiren Sie mir die Stunde Ihrer Ankunft nach Buckingham Palace.
Dr. Becker, Windsorcastle.«

Ernst Becker, der scheidende Privatsekretär Prinz Alberts, hat Carl Ruland als seinen Nachfolger vorgeschlagen. Dieser zögert nicht lange. Er verlässt Frankfurt und seine Eltern. Seine neue Heimat wird der Hof Königin Viktorias. Bis zum Jahresende arbeitet Becker ihn in seine künftigen Aufgabenfelder ein.

Carl Ruland (links) mit Dr. Ernst Becker, © Lotte Hoffmann-Kuhnt

Carl Ruland (links) mit Dr. Ernst Becker, © Lotte Hoffmann-Kuhnt

Sie umfassen außer dem prinzlichen Sekretariat die deutschsprachigen Bibliotheken in den königlichen Sammlungen sowie die Erziehung des Thronfolgers Edward und seines Bruders Albert. Gerade zu den königlichen Kindern, denen Ruland auch Deutsch beibringt, entwickelt sich mit der Zeit ein inniges Verhältnis. Wie innig, wird in der Todesnacht ihres Vaters deutlich.

»Die Kinder alle scharen sich um mich alle so sehr als den Freund des Seligen, daß sie mit mir ihren Gram ausweinen wollen«, schreibt Ruland an seine Eltern in Frankfurt. Aber neben der gefühlvollen Anteilnahme spricht noch etwas anderes aus diesen Zeilen. Ruland spürt deutlich, dass er seinen Eltern die Angst um seine berufliche Zukunft nehmen muss. Nach dem Tod seines Dienstherrn ist er praktisch arbeitslos.

Telegramm von Dr. Ernst Becker an Carl Ruland, 18. Juni 1859, Privatbesitz

Telegramm von Dr. Ernst Becker an Carl Ruland, 18. Juni 1859, Privatbesitz

Doch eine Familie, deren Kinder sich im Augenblick der Not trostsuchend um ihn scharen – das würden auch seine Eltern beim Lesen vermuten – ließe ihn sicher nicht so einfach ziehen. »[V]erlassen Sie mich nicht und meine Kinder!« habe die Königin ihn noch in derselben Nacht gebeten.

Zwei Tage später, in seinem nächsten Brief, wird Ruland konkret:

»Laßt euch […] keine Sorgen aufsteigen: einstweilen nur für Euch: daß ich in die Dienste der Königin übergehe, u. zwar in ganz confidentieller Weise.«

Carl Ruland arbeitet fortan als Königin Viktorias Privatsekretär. Seine Aufgaben als Erzieher ihrer Kinder behält er ebenfalls. Am Ende wird Ruland sechs weitere Jahre in England bleiben und seine Heimatstadt Frankfurt und seine Eltern nur selten sehen.

Carl Ruland, 1906, © Klassik Stiftung Weimar

Carl Ruland, 1906, © Klassik Stiftung Weimar

Und so klingen die letzten Zeilen aus Rulands Brief vom 16. Dezember 1861, mit denen er seine Eltern auf sein Verbleiben in England vorbereitet, ein wenig wie eine Abbitte:

»Wenn ich nun weggegangen wäre, was hätte ich thun können? Lehren- dazu habe ich nach einer solchen Thätigkeit wie hier, keine rechte Lust mehr. Schriftstellern- ist auch ein unerquicklich Ding. Hier dagegen hat mein Leben und meine Thätigkeit einen Zweck, wenn ich wie sie hier alle sagen, der königlichen ganzen Familie nützlich sein kann.

Obgleich ich kaum zweifle, daß Ihr mir Recht geben werdet, so bitte ich doch, mir bald darüber zu schreiben. Morgen hoffe ich fast, einen Brief schon zu haben; doch nun genug, lebt wohl u. schreibt mir bald. Euer treuer Carl.«

Ulrike Müller-Harang

Studium der Germanistik und Slawistik, seit 1982 wissenschaftliche Mitarbeiterin der Klassik Stiftung Weimar, arbeitet im Goethe- und Schiller-Archiv an der Erschließung von Goethes Rechnungen. Veröffentlichungen zur Kulturgeschichte des klassischen und nachklassischen Weimar in Ausstellungskatalogen und Jahrbüchern, Provenienzforschung, Theater-, Museums- und Musikgeschichte

Die Klassik Stiftung Weimar dankt der Eigentümerin herzlich für die Genehmigung zur Veröffentlichung der Dokumente und Frau Dr. Müller-Harang für die Recherche und die Tran­skrip­ti­on der Briefe.

Abonnieren Sie hier unseren Blog!

Transkription der Briefe

Brief von Carl Ruland an die Eltern 14.12.1861

Literatur

Festschrift der Frankfurter Musterschule. Stadtarchiv Frankfurt am Main.

Hans-Joachim Netzer, Albert von Sachsen-Coburg-Gotha. Ein deutscher Prinz in England. München 1988.

Charlotte Pangels, Dr. Becker in geheimer Mission. An Queen Victorias Hof 1850 bis 1861. Hamburg 1996.

Ton und Licht. Musik, Malerei und Photographie im Umkreis von Prinz Albert. Katalog zur Ausstellung der Prinz-Albert-Gesellschaft und der FH Coburg anläßlich der 22. Konferenz. In: Prinz Albert- Ein Wettiner in Großbritannien. Hrsg. Franz Bosbach und John R. Davis, Coburg 2003.

Weitere Artikel von Dr. Ulrike Müller-Harang

Ruland intim II: Ruf des Kronprinzen nach Berlin

Rätsel um ein Brieffragment aus Goethes Handschriftensammlung

Die vertauschten Gesichter – Christiane von Goethe und Friedrike Vohs