Silhouette der Charlotte von Stein, um 1780, © Klassik Stiftung Weimar, Silhouette Johann Wolfgang von Goethe, © Klassik Stiftung Weimar

»Öffne mir dein Herz«

Als Goethes Briefe an Charlotte von Stein Mitte des 19. Jahrhunderts zum ersten Mal herausgegeben wurden, hob sich ein wenig der Schleier des Geheimnisses, der die Beziehung zwischen dem Dichter und der hoch gebildeten Dame bis dahin umgeben hatte. Seit dem Januar 1776 schrieb Goethe an die mit Josias Freiherr von Stein verheiratete Charlotte insgesamt etwa 1770 Briefe und »Zettelgen«, von denen der größte Teil im Goethe- und Schiller-Archiv verwahrt wird.

Eine Auswahl von Goethes Briefe an seine »liebe Lotte« erscheint nun zum Lesen und Hören im proartes Verlag, herausgegeben von Kristin Knebel und Silke Gablenz-Kolakovic. Folgenden Ausschnitte zeigen, weshalb die Briefe »als Dokument einer großen Liebe ganz zweifellos der Weltliteratur« angehören, wie Hellmut Seemann schreibt.

September 1776

Warum soll ich dich plagen! Liebstes Geschöpf! – Warum mich betrügen und dich plagen und so fort. – Wir können einander nichts seyn und sind einander zu viel. […]

Dornburg, 2. März 1779

[…] Es ist mir fast unangenehm, dass eine Zeit war wo Sie mich nicht kannten und nicht liebten. Wenn ich wieder auf die Erde komme, will ich die Götter bitten, dass ich nur einmal liebe, und wenn Sie nicht so feind dieser Welt wären, wollt ich um Sie bitten zu dieser lieben Gefährtin […].

Angelika Kauffmann, Johann Wolfgang von Goethe, 1787/88, Öl auf Leinwand © Klassik Stiftung Weimar

Angelika Kauffmann, Johann Wolfgang von Goethe, 1787/88, Öl auf Leinwand © Klassik Stiftung Weimar

März 1781

[…] Meine Seele ist fest an die deine angewachsen, ich mag keine Worte machen, du weist daß ich von dir unzertrennlich bin und daß weder hohes noch tiefes mich zu scheiden vermag. Ich wollte daß es irgend ein Gelübde oder Sakrament gäbe, das mich dir auch sichtlich und gesezlich zu eigen machte, wie werth sollte es mir seyn. Und mein Noviziat war doch lang genug um sich zu bedencken. Adieu. Ich kan nicht mehr Sie schreiben wie ich eine ganze Zeit nicht du sagen konnte.

Februar 1782

Sag mir Lotte ein Wort. Es ist mir in deiner Liebe als wenn ich nicht mehr in Zelten und Hütten wohnte als wenn ich ein wohlgegründetes Haus zum Geschenk erhalten hätte, drinne zu leben und zu sterben, und alle meine Besitzthümer drinne zu bewahren. Vor zehen Uhr seh ich dich einen Augenblick. Ich kann dir nicht Lebe wohl sagen denn ich verlasse dich nicht.

Eisenach, 28. Juni 1784 (nach Kochberg)

Nun wird es balde Zeit liebe Lotte daß ich wieder in Deine Nähe komme, denn mein Wesen hält nicht mehr zusammen, ich fühle recht deutlich, daß ich nicht ohne Dich bestehen kann. Nun kann es nicht lange mehr währen, ich rechne noch eine Woche, dann werde ich loskommen können. […]

Ja liebe Lotte jetzt wird es mir erst deutlich wie Du meine eigne Hälfte bist und bleibst. Ich bin kein einzelnes kein selbstständiges Wesen. […]

Alle meine Schwächen habe ich an Dich angelehnt, meine weichen Seiten durch Dich beschützt, meine Lücken durch Dich ausgefüllt. Wenn ich nun entfernt von Dir bin so wird mein Zustand höchst seltsam. Auf einer Seite bin ich gewaffnet und gestählt, auf der andern wie ein rohes Ei, weil ich da versäumt habe mich zu harnischen wo Du mir Schild und Schirm bist. Wie freue ich mich, Dir ganz anzugehören. Und dich nächstens wieder zu sehen. Alles lieb ich an Dir und alles macht mich Dich mehr lieben.

Charlotte von Stein: Nach Dora Stock (?), Charlotte von Stein, undatiert, Silberstiftzeichnung, © Klassik Stiftung Weimar

Charlotte von Stein: Nach Dora Stock (?), Charlotte von Stein, undatiert, Silberstiftzeichnung, © Klassik Stiftung Weimar

Bis heute ist die Frage offen, ob es sich um eine rein platonische Beziehung handelte oder nicht. Auf der Rückseite eines Briefes von Goethe an Charlotte vom 7. Oktober 1776 finden sich folgende Zeilen von ihr:

»Ob´s unrecht ist, was ich empfinde – –
und ob ich büßen muss die mir so liebe Sünde,
will mein Gewissen mir nicht sagen;
vernicht´es Himmel, du!, wenn mich´s je könnt anklagen.«

Mehr als 1700 Briefe schrieb Goethe während seiner ersten zehn Weimarer Jahre an die sieben Jahre ältere Herzensfreundin. Doch Anfang September 1786 verschwand Goethe plötzlich, reiste, ohne dass sie sein Ziel kannte, fluchtartig nach Italien ab und blieb dort für über eineinhalb Jahre. Für Charlotte von Stein brach eine Welt zusammen. Im September 1786 dichtete sie ein paar Verse zur Melodie eines alten Volksliedes:

»Ihr Gedanken fliehet mich,
wie der Freund von mir entwich.
Ihr erinnert mich der Stunden,
Mit ihm liebevoll verwunden.
O wie bin ich nun allein!
Ewig werd ich einsam sein!«

Schloss Kochberg. Foto: Maik Schuck

Schloss Kochberg. Foto: Maik Schuck

Am Samstag, 6. Mai, eröffnet das Liebhabertheater Schloss Kochberg die Saison 2017 »Glück ohne Ruh, Liebe, bist du!«. Anlässlich des 275. Geburtstags Charlotte von Steins stehen die 35 Opern- und Schauspielaufführungen, Konzerte und Lesungen ganz im Zeichen der engen Freundschaft zwischen Goethe und der Jubilarin.

Um 17 Uhr am Eröffnungstag liest Jürg Wisbach aus den Briefen des Dichters an die Vertraute. Im Anschluss präsentieren die Herausgeberinnen Kristin Knebel und Silke Gablenz-Kolakovic ihr Buch »Öffne mir dein Herz«.

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