Schriftstellerin Marina Achenbach © Paco Knoeller

»Die Lust am Erzählen
versiegte nie«

In »Ein Krokodil für Zagreb« erzählt Marina Achenbach, geboren 1939 in Zagreb und aufgewachsen in der DDR, den faszinierenden Lebensweg Ihrer Eltern.

In  Zagreb hatten sich Ihre aus Bosnien stammende Mutter Seka und der deutsche, aus einer adligen Landratsfamilie stammende Emigrant Ado im Jahr 1938 kennengelernt. Was hat Sie an Ihren Eltern fasziniert?

Die beiden gehörten zu einer Generation – wobei Ado 20 Jahre älter als Seka war – die sich von ihrer bürgerlichen Herkunft losgesagt und auf den Weg einer Emanzipation begeben hat. Sie haben alle Risiken in Kauf genommen, die in diesen Zeiten damit verbunden waren. Ihre Bildung, ihren großen Horizont und ihr Aufnahmefähigkeit haben sie sich erhalten und auch in das politische Leben mit eingebracht. Für mich hat diese ganze Generation, aus der so viele im Krieg und in den Konzentrationslagern ihr Leben verloren haben, einen großen Zauber.

Was hat Sie letztlich bewegt, dieses Buch zu schreiben?

Im Grunde wollte ich es schon als Jugendliche schreiben. Und da bei uns in der Familie immer sehr viel erzählt wurde, waren diese ganzen Geschichten stets präsent. Früher waren es die Geschichten meiner Eltern aus Bosnien, aus Zagreb, aus dem Kriegs-Berlin, später auch das, was ich selbst erlebt hatte. Aber erst als ich mit dem Schreiben von Reportagen Schluss machte, konnte ich mit dem Schreiben der Geschichte meiner Eltern beginnen. Als Journalistin richtet man sich nach außen, es ist eine ganz andere Richtung des Fühlens, Denkens und Wahrnehmens. Natürlich gleicht man immer mit seinen eigenen Erfahrungen ab, das ist das Wesen des Schreibens. Dennoch ist es ein ungeheurer Unterschied, die eigenen Erinnerungen heraufzuholen und derart in die Tiefe zu gehen.

Gerade Ihre Mutter Seka beschreiben Sie als große Geschichtenerzählerin. Welche Rolle spielte das Erzählen in Ihrer Kindheit?

Erzählt wurde oft am Abendbrottisch, nachmittags beim Tee, aber auch beim Spazierengehen oder auf einer Zugfahrt. Die Lust am Erzählen versiegte offenbar nie. Besonders meine Mutter war eine begnadete Erzählerin. Sie konnte eine Geschichte aufbauen, diese zu einer Pointe hinziehen, das Dramatische und das Witzige mischen. Das geschah bei allen Gelegenheiten, dazu brauchte es nur ein winziges Stichwort. In unserer Familie wurde aber auch gern zugehört. Freunde und Gäste wurden zum Erzählen animiert, und wir haben auch so intensiv zugehört, dass die Menschen gern erzählt haben.

»Seka erzählt ein Leben lang Geschichten, wir hören ihr süchtig zu, obwohl wir sie verdächtigen, dass sie übertreibt.«, schreiben Sie über Ihre Mutter. Ein geordnetes Berichten habe sie gelangweilt.

Mein Bruder und ich haben besonders unserer Mutter oft misstraut und gerufen: »Du übertreibst, das kann ja gar nicht wahr sein. Das hast Du Dir jetzt ausgedacht«. Es war ja keine brave, unterwürfige Familie. Wenn es witzig blieb, dann machte es nichts. Aber wenn wir nachfragten, wo und wie das Erzählte genau passiert ist, wer mit dabei war oder Dinge am Rande wissen wollten, die für Recherchierende wichtig sind, aber in ihrer Erzählung nicht wichtig waren, dann verstummte sie und verlor die Lust.

Haben die Erzählungen Ihrer Mutter oder ganz allgemein die Bruchstückhaftigkeit von Erinnerungen die Form Ihres Buches, in 120 kurzen Szenen zu erzählen, festgelegt?

Ja, zumindest das Bedürfnis, nicht retrospektiv zu erzählen, sondern so zu erzählen, dass die Situationen ganz lebendig und präsent sind, man geradezu in ihnen anwesend ist, das ist durch die Erzählweise meiner Mutter angeregt worden. Berichten ist wirklich etwas anderes als Erzählen. Beim Erzählen geht es darum, die Phantasie zu wecken und darum, dass die erzählte Situation in diesem Moment entsteht, den ganzen Raum füllt, dass wirklich das Gefühl übertragen wird. In dieser Hinsicht  können wir als Menschen ungeheuer viel leisten, wir haben ja Phantasie. Wir können uns in unbekannte Situationen hineinversetzen, wenn richtig erzählt wird.

»Ein Krokodil für Zagreb« trägt die Genrebezeichnung »Roman«. Weshalb?

Das war eine ganz schwierige Frage, die nicht durch mich, sondern durch den Verlag aufgerufen wurde. Aber ich bin mit »Roman« einverstanden. Es ist ja keine Biographie, dazu ist es viel zu bruchstückhaft und auch nicht als Biographie angelegt und recherchiert. Ich habe bei jeder meiner 120 kleinen Szenen gemerkt, wie sehr man doch beim Schreiben verwandelt. Daher ist es eine literarische Arbeit, auf jeden Fall eine Erzählung, und ein Roman ist eine große Erzählung. Die Hälfte des Buchs besteht aus Geschichten, die mir erzählt wurden, also bereits verwandelte Realität, die ich erneut erzählt und damit wieder verwandelt habe. Es ist viel mehr fiktionalisiert, als es vielleicht manchen auf den ersten Blick erscheinen mag. Erinnerung wird immer wieder neu in unserem Hirn geboren.

In Ihrem Buch beschreiben Sie, dass Sie als Kind kein gutes Verhältnis zu Weimar hatten, wo Ihr Vater auf Schloss Belvedere eine freie, moderne Theaterschule aufbauen wollte. Sie beschreiben beispielsweise die Weimarer Kinder, die Sie grimmig beäugten. Wie ist Ihr Verhältnis zu Weimar heute?

Das ist wirklich wahr, das habe ich mir nicht ausgedacht. Ich glaube, dass man ziemlich negativ in den Weimarer Familien über uns gesprochen hat. Weimar hatte einen Dünkel, das hat man gespürt. Als ich dann viel später zurück in die Stadt kam, war ich natürlich sehr gerührt. Wir waren sehr glücklich als Kinder von Belvedere, es gehörte ja alles uns, vom Schloss über den riesigen Park bis zur Orangerie und den Theaterwerkstätten. Mich zieht es immer nach Belvedere, wenn ich in Weimar bin. Aber ich habe bei schönen Erlebnissen an geliebten Orten auch immer Angst, dass sich das Gefühl bei einem zweiten Besuch nicht wieder einstellt.

Am 8. November 2017 liest Marina Achenbach um 18 Uhr im Bücherkubus der Herzogin Anna Amalia Bibliothek aus ihrem Roman »Ein Krokodil für Zagreb«. Der Eintritt ist frei.

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