Einen Monat lang werden Beiträge verschiedener Künstlerinnen und Künstler in einen Dialog mit der Geschichte des historischen Kapellenraums des Weimarer Stadtschlosses treten. Foto: Klassik Stiftung Weimar

Die Kapelle und das spezifische
Gewicht der Zeit

Einen Monat lang werden Beiträge verschiedener Künstlerinnen und Künstler in einen Dialog mit der Geschichte des historischen Kapellenraums des Weimarer Stadtschlosses treten. Ein Interview mit Anne Brannys, der Künstlerischen Leiterin.

Frau Brannys, was ist die Grundidee der künstlerischen Intervention?

Als ich den Raum zum ersten Mal sah, war ich fasziniert und irritiert. Ich bin selbst Künstlerin und mir sind ganz viele Details aufgefallen, die Fragen aufwerfen. Aus diesen Fragen ist der Wunsch entstanden, in den baugeschichtlichen Unterlagen zu recherchieren, beispielsweise frühe Pläne oder auch biographischen Aufzeichnungen des Architekten Clemens Wenzeslaus Coudray einzusehen, um das Erscheinungsbild des Raumes besser zu verstehen.

Gleichzeitig habe ich mich selbst häufig im Raum aufgehalten und begann mir aus Sicht der Künstlerin Fragen zu stellen. Dabei dachte ich, dass es eigentlich sehr schön wäre, auch Kolleginnen und Kollegen einzuladen, die eine komplett andere Sicht haben, und sie Ideen entwickeln zu lassen, wie man auf den Raum reagieren kann. Und genau das passiert jetzt auf eine sehr interessante und vielschichtige Weise.

Was fasziniert Sie an der ehemaligen Schlosskapelle?

Ich finde den Raum so interessant, weil man seine unterschiedlichen inhaltlichen Dimensionen, alle Nutzungen und Ideen im Wandel der Zeit, heute gleichzeitig und parallel wahrnehmen kann. Neben den Einbauten, um ihn als Magazin nutzbar zu machen, erkennt man beispielsweise auch durch die begonnenen Restaurierungsarbeiten die ursprüngliche Ausgestaltung. In Grunde lässt sich die Bedeutung und Nutzung des Raums in drei Bereiche unterteilen: Schlosskapelle, Konzertsaal und  von 1968 bis 2004 Büchermagazin der Zentralbibliothek der Deutschen Klassik. Diese ganz unterschiedlichen Nutzungen sind momentan gleichzeitig spür- und sichtbar, das macht ihn so speziell, der Raum befindet sich gewissermaßen in einem Zustand des Dazwischen.

Wie viele Künstlerinnen und Künstler sind an der Intervention beteiligt?

Insgesamt sind es elf Künstlerinnen und Künstler, die ihre Arbeiten für die Interventionen zur Verfügung gestellt beziehungsweise dafür erarbeitet haben. Etwa die Hälfte der Arbeiten ist hier vor Ort entstanden. Die anderen wurden von mir ausgewählt und positioniert, um bestimmte Sachverhalte im Raum zu thematisieren. Alle künstlerischen Arbeiten weisen eine starken Bezug zum Raum auf, thematisieren seine unterschiedlichen Schichten, sowohl inhaltlich als auch formal.

Beispielsweise haben wir eine  Soundinstallation, auf die ich mich sehr freue. Dafür bin ich mit der Künstlerin Chelsea Leventhal nach Karsdorf in Sachsen-Anhalt gefahren, wo in der Orgel der Dorfkirche Teile jener Orgel verbaut wurden, die einmal von Johannes-Ernst Köhler in der Schlosskapelle für seine berühmten Konzerte eingebaut worden war. In Karsdorf hat die Soundkünstlerin Aufnahmen gemacht und daraus ein Stück komponiert, das im Aufzugschacht zu hören sein wird – dort, wo früher die Orgel im sogenannten »Bachsaal« positioniert war. Die Vorgeschichte des Raums spielt also eine entscheidende Rolle.

Was hat es mit dem Titel »Die Kapelle und das spezifische Gewicht der Zeit« auf sich?

Es ist immer eine Herausforderung, einen übergreifenden Titel zu finden, mit dem sich alle beteiligten Künstlerinnen und Künstler identifizieren können. Besonders hat mich die Zeitschichtung und ihre räumliche Verdichtung interessiert. Auch war ich auf einen Verweis in einer Akte gestoßen, dass, um den Raum als Magazin nutzbar zu machen, 86 Tonnen Stahl verbaut wurden. Das ist eine mächtige Zahl, ein großes Gewicht und viel Material, gerade für eine Kirchenarchitektur, in der alles nach oben strebt und damit das Geistige oder Spirituelle thematisiert wird. Diese Diskrepanz wollte ich gern im Titel widerspiegeln und gleichzeitig mit dem Aspekt der Zeit verknüpfen.

Von Clemes Wenzeslaus Coudray 1828 entworfen und ab 1844 auf Bestreben des damaligen Erbherzoges Carl Alexander neo-romanisch ausgestaltet, wurde die Kapelle im Weimarer Residenzschloss 1847 eingeweiht und später als Konzertsaal, aber auch als Büchermagazin genutzt. Foto: Klassik Stiftung Weimar

Von Clemes Wenzeslaus Coudray 1828 entworfen, wurde die Kapelle ab 1844 auf Bestreben des damaligen Erbherzoges Carl Alexander neo-romanisch ausgestaltet. Foto: Klassik Stiftung Weimar

Was erwartet die Besucherinnen und Besucher auf ihrem Rundgang durch die Kapelle?

Es erwartet sie ein besonderer, im Verborgenen liegender Raum, in dem subtile künstlerische Eingriffe stattfinden, die ganz unterschiedliche Motive haben. Die künstlerischen Arbeiten wollen erstaunen, berühren, informieren, Fragen aufwerfen und einen neuen Zugang zum Raum schaffen.

Einen Monat lang, vom 3. November bis 3. Dezember 2017, ist die künstlerische Intervention in der ehemaligen Schlosskapelle im Weimarer Stadtschloss zu sehen. Darin treten Beiträge verschiedener Künstlerinnen und Künstler in einen Dialog mit der Geschichte des historischen Kapellenraumes.

Die Intervention kann in exklusiven Führungen freitags um 14 und 16 Uhr, samstags um 11 und 14 Uhr sowie nach Vereinbarung besichtigt werden. Die Anmeldung erfolgt über a.brannys@gmx.de

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