Historiker Jürgen Osterhammel © Philipp Dabringhaus

»Kosmopolitismus ist zu einer Konsumkategorie geworden«

Im diesjährigen Meisterkurs setzten sich Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler gemeinsam mit dem Historiker Jürgen Osterhammel unter dem Titel »Kosmopolitismus. Eine Idee und ihre Geschichte seit der Aufklärung« mit dem Weltbürgergedanken auseinander. Ein Interview

Herr Osterhammel, sind Sie ein Kosmopolit?

Nur tendenziell. Vom biografischen Hintergrund müsste man manches mitbringen und hohe Erwartungen erfüllen, um sich als Kosmopolit zu qualifizieren. Man müsste ein extrem mobiler Mensch sein, der auch schon in vielen Ländern beruflich tätig war. Nach heutigen Begriffen vielleicht ein Vielflieger. Das ist das Bild, das sich die Öffentlichkeit macht, wenn sie mit dem Begriff »Kosmopolit« etwas verbindet. Merkmale, die ich nur beschränkt aufweise. Von meiner Lebensführung her bin ich wohl eher kein Kosmopolit. Ich versuche aber, und das meine ich mit tendenziell, es von meiner Einstellung und Haltung zu sein.

Wann taucht der Begriff »Kosmopolitismus« das erste Mal auf?

Ideengeschichtlich kann man den Begriff »Kosmopolitismus« recht genau herleiten. Um die Zeit nach etwa 1770 gab es unter europäischen Intellektuellen einen Grundkonsens. Danach war ein Kosmopolit jemand, der zwar eine Verpflichtung für die eigenen Lebenskreise spürte, in denen man sich im Alltag bewegte. Gleichzeitig hatten Kosmopoliten aber auch einen Sinn dafür, was damals abstrakt »die Menschheit« genannt wurde – ein zentraler Begriff der Aufklärung. Im Zweifel galt sogar: Wenn es einen Konflikt geben sollte zwischen der Loyalität für die patria, die Heimat, und der Loyalität für die Menschheit, war  die Menschheit vorzuziehen.

Welche praktischen Probleme sah man damals?

Damals gab es nur wenige Weltreisende. Georg Forster und Alexander von Humboldt können hier als Beispiele angeführt werden. Oft fehlten logistische Voraussetzungen dafür, Erfahrungen mit dem Fremden zu machen. Eine andere praktische Schwierigkeit war, die abstrakte Idee der Menschheit in eine konkrete Ordnung zu bringen. Also: Wie muss eine Ordnung beschaffen sein, die weiträumige Zusammenhänge regelt? Immanuel Kants kleine Schrift  »Zum ewigen Frieden« (1795) ist dabei als ein Versuch zu nennen. Kant beschäftigt sich hier mit der Frage, wie eine Friedensordnung aussehen kann, die über Europa hinausgeht. Konkret kritisiert Kant beispielsweise den Kolonialismus. Er diskutiert auch die Frage, was davon zu halten ist, wenn damals große Länder wie China oder Japan sich abschotten und vorsichtig sind, Fremde ins Land zu lassen. Kant sagt dazu, wenn man sich anschaut, was die Europäer so anrichten, wenn sie in die Welt hinausgehen, dann kann man sich nicht wundern, dass die Ostasiaten da eher zögerlich sind.

Entstanden kosmopolitische Strömungen auch außerhalb Europas?

Kosmopolitismus als ein Aspekt von Aufklärung hat sich einerseits von Europa ausgehend in die Welt verbreitet, andererseits gab es überall kleine Gruppen von Intellektuellen, die den Begriff attraktiv fanden. Oft deshalb, weil er ermöglichte, die eigene Zivilisation oder Nationalgeschichte in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Attraktiv außerdem, und das ist mit Aufklärungsidealen immer wieder passiert, weil man sie gegen Europa richten konnte. Man bekam in den Texten der europäischen Aufklärung ein Konzept wie Kosmopolitismus oder universale Menschenrechte serviert, lebte aber in einer Situation des Kolonialismus. Man wendete die geistigen Waffen Europas gegen die reale Situation, in der die Europäer als Kolonialherren auftraten. Das sind sehr wirkungsvolle Argumentationen gewesen, die oft von Juristen vorgebracht wurden. Es ist interessant, wie viele Vorreiter von Freiheitsbewegungen in Asien und Afrika geschulte Juristen waren und auch das europäische Recht kannten, die Kodifizierung der Menschenrechte, und sozusagen des Spieß umdrehten.

Es gibt aber auch ein paar spektakuläre Texte, ausgesprochene Utopien der Völkerverbrüderung, der Abschaffung von Hindernissen aller Art, die die utopische europäische Tradition fast noch toppen oder steigern. Hier möchte ich einen chinesischen Autor nennen, Kang Youwei (1858-1927). Das Zweite ist, dass man den Begriff Kosmopolitismus durchaus mit Recht nicht nur für den ganzen Globus verwendet, sondern für sehr große Gruppen, politisch-kulturelle Zusammenhänge, für große Reiche, ganze Zivilisationen. Die ersten kosmopolitischen Überlegungen stammen aus der Antike, aus der Stoa, in der Phase nach der griechischen Polis. Man machte sich Gedanken, wie die größeren Zusammenhänge außerhalb der Polis aussehen könnten und da dachte man natürlich nicht an den Planeten, sondern an die Griechisch sprechende Welt, die ja sehr groß war. Oder denken Sie an das Römische Reich, das chinesische Kaiserreich oder die Welt der frühen islamischen Reiche. Das sind riesige Räume gewesen, die zusammengehalten wurden teils durch einheitliche Sprache, teils durch einheitliche Religion. Der Begriff »Kosmopolitismus« wird mittlerweile auch dafür verwendet.

Wie steht es heute um kosmopolitische Ideen?

Kosmopolitismus ist weitestgehend zu einer Konsumkategorie geworden. Es geht um Objekte, Nahrungsmittel, die aus aller Welt kommen. Schon seit 1965 gibt es ein Hochglanzmagazin namens »Cosmopolitan«. Ich habe das soeben in  einem Vortrag in Jena »hedonistischen Kosmopolitismus« genannt. Es ist in unserer Zeit ja eigentlich schon eine Besonderheit, auf lokale Produkte Wert zu legen. Beim Billigdiscounter bekommt man die Dinge von weit weg, auf die die Kosmopoliten vor 200 Jahren vielleicht stolz waren, dass sie diese überhaupt bekamen. Heute muss man schon tiefer in die Tasche greifen, wenn man ein solides Regionalprodukt kaufen möchte. Im Grunde sind die Verhältnisse heute umgekehrt.

Was bleibt von der ursprünglichen Idee übrig?

Im Meisterkurs hat sich herausgestellt, dass wir mit der hedonistischen Deutung des Kosmopolitismus, die zum Teil auch in der Soziologie eine Rolle spielt, nicht so richtig zufrieden sind. Überzeugend finden wir den Versuch, den Begriff auch umzukehren und einen »Kosmopolitismus von unten« ins Spiel zu bringen: Der Vielflieger in den Wolken, der in seinem Flugzeug Grenzen überschreitet, unten im Meer die Flüchtenden, die dies nicht freiwillig tun, sondern auf unterschiedliche Weise Zwangs-Migranten sind. Dass sie gar nichts miteinander zu tun haben sollten, ist wenig plausibel und würde auch den Ideen des klassischen Kosmopolitismus widersprechen. Der elitäre Konsum-Kosmopolitismus sieht im Grunde die Menschen auf dem Boden nicht, nimmt sie vielleicht medial im Fernsehen wahr, jedoch ohne jede Konsequenzen.

Die ethischen Verpflichtungen, die sich aus dem klassischen Kosmopolitismus seit dem 18. Jahrhundert ergeben, schließen eine Sympathie mit Opfern, aber auch eine gewisse Verantwortung für sie und Hilfspflicht mit ein. Man kann Kosmopolitismus im klassischen Sinne nicht umsonst haben. Man kann sich nicht allein deshalb schon selbstzufrieden als Weltbürger betrachten, weil man mit einem Kreuzfahrtschiff über den Indischen Ozean fährt.

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