Goethe, Schiller und die Weimarer Klassik
Vom Ritual zur Tradition:
Goethes Geburtstag in Weimar
Goethes Leben fällt in eine Zeit, in der sich das Feiern des Geburtstags im heutigen Sinne erst zu einer Tradition entwickelt. Ein kurzer historischer Abriss.
Bis ins 4. Jahrhundert vor Christus lässt sich die Geschichte des Geburtstagsfest zurückverfolgen, doch erst rund achthundert Jahre später übernahm und wandelte das Christentum das ehemals heidnische Fest. In Europa griff man im 17. Jahrhundert diese antike Sitte mit Feiern für Herrscher wieder auf. Nochmals 100 Jahre dauerte es, bis sich daraus allmählich die bürgerliche Familienfeier im heutigen Sinne entwickelte. Nicht zufällig ist, kulturgeschichtlich betrachtet, das wachsende bürgerliche Selbstbewusstsein eng mit der Würdigung des individuellen Alters verbunden.
Goethes Leben fällt exemplarisch in diesen Wandlungsprozess. Im Frankfurter Elternhaus fanden keine großen Geburtstagsfeiern statt. Entsprechend bescheiden fielen auch die Geschenke aus: Mal gab es eine Geburtstagsbrezel oder schwarze Hosen, zum 12. Geburtstag immerhin ein Paar neue Schuhe und einen silbernen Degen. Gemeinsam mit eingeladenen Freunden feierte Goethe erst seinen 15. Geburtstag.
Als Student in Leipzig begann Goethe eine Tradition, die er sein Leben lang beibehalten sollte: Fortan zog er am Ende eines Lebensjahres Bilanz, begann bewusst Neues und prüfte bisherige Lebensgewohnheiten. Am 28. August 1808 beschloss er, »Dichtung und Wahrheit« in Angriff zu nehmen, im September 1831 legte er fest, die »Faust«-Dichtung vor seinem nächsten Geburtstag zu beenden. So blieb der 28. August für Goethe stets ein besonderer Tag, weil an ihm die »Summe seiner Existenz« gezogen wurde, wie er in einem Brief an vom 27. August 1794 notiert.
Doch je älter Goethe wurde, desto mehr mied er gerade am Geburtstag lärmende Geselligkeit und suchte die Einsamkeit, so zum Beispiel 1805 in Bad Lauchstädt. Er habe seinen Geburtstag »immer gern im Stillen« begangen versichert er in den »Tag- und Jahresheften« für 1817.
Spät, erst 1781, beginnt am Weimarer Hof die Tradition, Goethes Geburtstag zu feiern. Am 28. August 1787 wurde im Gartenhaus für den Abwesenden – er weilte gerade in Italien – eine kleine Feier ausgerichtet, an der auch Friedrich Schiller teilnahm. Sarkastisch schrieb dieser an Freund Körner in Dresden:
»Wir fraßen herzhaft, und Goethes Gesundheit wurde von mir in Rheinwein getrunken«.
Auch die Sitte des Schenkens verfestigte sich mehr und mehr. Nicht wenige, teilweise auch kostbare Gegenstände fanden dadurch den Weg in Goethes Sammlungen.
Zu Goethes 80. Geburtstag 1829 gab es in Dresden, Leipzig, Weimar und Frankfurt am Main teils rauschende Feste, organisiert von Freunden und Verehrern des Dichters. Seit 1819 wurde es in vielen deutschen Orten zur Gewohnheit, des Dichters Geburtstag festlich zu begehen. Und auch das 19. und 20. Jahrhundert erlebte besonders zu den runden Jubiläen deutschlandweite Feierlichkeiten, auf denen legendäre Reden gehalten wurden, beispielsweise von Thomas Mann im Jahre 1932.
In Weimar, bei den 1953 gegründeten Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur (NFG), bildete sich eine eigene Tradition heraus, die am Ende eine opulente, drei Abende umfassende Feier in Goethes Garten am Frauenplan umfasste. Jeden Abend genossen rund 400 Gäste eine kleine musikalische oder theatralische Veranstaltung mit Goethebezug.
Nach der Gründung der heutigen Klassik Stiftung Weimar wurde das Konzept der Feiern mehrfach geändert. Die traditionelle Feier wurde noch ein paar Jahre im Garten von Goethes Wohnhaus abgehalten. Heute findet der Goethe-Geburtstag rund um das Römische Haus im Park an der Ilm statt.