Goethe, Schiller und die Weimarer Klassik · Goethe- und Schiller-Archiv
Goethe dichtet den »Faust«
Kein Thema beschäftigte Goethe so sehr wie die Geschichte des Dr. Faustus. Bereits als Kind plante er einen eigenen »Faust« – er schloss ihn ein Jahr vor seinem Tode ab.
Johann Wolfgang Goethe hat die Geschichte des Dr. Faustus in seiner Heimatstadt Frankfurt als Kind über ein Puppenspiel kennengelernt und frühzeitig einen eigenen »Faust« geplant. Als der junge Dichter im November 1775 nach Weimar kam, brachte er bereits erste Entwürfe mit. Wenige Wochen vor seiner Ankunft berichtete er seinem Freund Johann Heinrich Merck in aller Kürze:
»Hab am Faust viel geschrieben.«
In Weimar las Goethe der Hofgesellschaft aus seinem »halbfertigen Faust« vor. Hoffräulein Luise von Göchhausen war nicht nur eine eifrige Zuhörerin, sie fertigte auch eine Abschrift von Goethes Manuskript an. Die Abschrift wurde 1887 von dem Philologen Erich Schmidt in ihrem Nachlass entdeckt und als »Urfaust« bekannt gemacht. 1790 veröffentlichte Goethe in seiner ersten Werkausgabe bei Göschen eine vorläufige Fassung des »Faust« mit dem Zusatz »Ein Fragment«.
Die »Faust«-Dichtung wurde ein wichtiges Thema im Gespräch zwischen Friedrich Schiller und Goethe. Tief beeindruckt von der Erstveröffentlichung ermunterte Schiller den Freund zur Weiterarbeit an der Tragödie. Antwortete Goethe zunächst abschlägig, weil ihm der Mut und die Stimmung dazu fehlten, konnte er Schiller schließlich im Juni 1797 doch berichten, dass er die Arbeit am »Faust« wieder aufgenommen habe. Er sichtete die Materialien aus seinem »Faustpaket«, entwarf Schemata, überarbeitete frühe Entwürfe und fügte Neues hinzu. Im Mai 1798 schrieb er an Schiller:
»Meinen Faust habe ich um ein gutes weiter gebracht. Das alte noch vorräthige höchst confuse Manuscript ist abgeschrieben und die Theile sind in abgesonderten Lagen, nach den Nummern eines ausführlichen Schemas hinter einander gelegt, nun kann ich jeden Augenblick der Stimmung nutzen, um einzelne Theile weiter auszuführen und das ganze früher oder später zusammen zu stellen.«
Um die Jahrhundertwende fiel Goethes Entschluss, das Drama in einen ersten und einen zweiten Teil zu gliedern. Zu den beiden Teilen notierte Goethe um diese Zeit in Stichworten:
»Lebens Genuß der Person von aussen geseh[en] 1. Theil […] / Thaten Genuß nach aussen zweyter Theil […].«
Während das Geschehen um Faust und Gretchen im Mittelpunkt des ersten Teils der Dichtung steht, wird der Held im zweiten Teil zum tatenvollen Repräsentanten einer modernen Welt. Nach der Veröffentlichung des ersten Teils unter dem Titel »Faust. Eine Tragödie« in der Werkausgabe 1808 bei Cotta widmete sich Goethe vor allem anderen Werken wie der »Farbenlehre« oder »Dichtung und Wahrheit«. Erst im Frühjahr 1825 begann eine letzte äußerst produktive Arbeitsphase am zweiten Teil des »Faust«. Von nun an entstanden zahlreiche Notizen, Schemata, Skizzen, Entwürfe und Reinschriften. Nach und nach schloss Goethe die vorhandenen Lücken. Dabei arbeitete er die Versfolgen, Szenen und Akte nicht nach dem Handlungsverlauf aus. Vielmehr beschäftigte er sich nach einem inneren Plan zugleich mit unterschiedlichen Themen, Motiven, Handlungssträngen und Situationen. Bereits skizzierte Versfolgen führte er aus und überarbeitete sie in mehreren Stufen bis zu ihrer endgültigen Gestalt.
1827 veröffentlichte er »Helena, klassisch-romantische Phantasmagorie. Zwischenspiel zu Faust« – eine Dichtung, die auf eine seiner »ältesten Konzeptionen« zum »Faust« und frühe Entwürfe um 1800 zurückgeht. Noch wenige Monate vor seinem Tod schrieb Goethe am 4. Akt des zweiten Teils, nachdem er alles andere bereits fertiggestellt hatte. In dieser Zeit entstand auch das auf den 16. Mai 1831 datierte »Scenario zum 4. Act des Faust«:
Das Manuskript bietet ein Schema zum Verlauf des 4. Aktes von der Hand des Schreibers John mit eigener Unterschrift Goethes. Als Zeichen der Erledigung wurde es längs mit Bleistift gestrichen. An den Rändern hat Goethe das Schema eigenhändig mit Tinte ergänzt und mit Bleistift noch einen Versentwurf hinzugefügt.
Mit den Worten »Das Hauptgeschäft zu Stande gebracht.« notierte der Dichter am 22. Juli 1831 den Abschluss des »Faust« in sein Tagebuch. Bis hierhin hatte er alle 5 Akte des zweiten Teils von John und Schuchardt abschreiben und zu einer Gesamthandschrift zusammenheften lassen. Auf seinen Wunsch wurde der zweite Teil des »Faust« erst nach seinem Tod gedruckt. Im letzten Brief an Wilhelm von Humboldt vom 17. März 1832 zog er das Resümee:
»Es sind über sechzig Jahre, daß die Conception des Faust bey mir jugendlich von vorne herein klar, die ganze Reihenfolge hin weniger ausführlich vorlag. Nun hab ich die Absicht immer sachte neben mir her gehen lassen, und nur die mir gerade interessantesten Stellen einzeln durchgearbeitet, so daß im zweyten Theile Lücken blieben, durch ein gleichmäßiges Interesse mit dem Uebrigen zu verbinden.«
Wer Goethes »Faust«-Werkstatt kennenlernen möchte, sei auf die historisch-kritische Edition hingewiesen. Erstmals sind hier die mehr als 2000 überlieferten Handschriftenseiten in hochauflösenden farbigen Abbildungen mit Transkriptionen online zugänglich. Die Entstehung der Verse kann über die einzelnen Stufen hinweg nachvollzogen werden. Grafische Übersichten geben einen Einblick in die genetischen Zusammenhänge zwischen den Handschriften.
Bis zum 29. Juli läuft in der Kunsthalle München die Ausstellung »Du bist Faust. Goethes Drama in der Kunst«. Die Schau wurde in Kooperation zwischen der Kunsthalle München und dem Forschungsverbund Marbach Weimar Wolfenbüttel exklusiv für die Kunsthalle entwickelt und maßgeblich von der Klassik Stiftung Weimar unterstützt. Die Inszenierung der Ausstellung wurde gemeinsam mit dem Bühnenbildner und Künstler Philipp Fürhofer konzipiert.