Lucas Cranach d. Ä., Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen und Sibylle von Cleve, 1526, Klassik Stiftung Weimar

Glück auf Stelzen: Eine neue Biografie zu Johann Friedrich I.

Die Reaktion war an Gleichgültigkeit kaum zu übertreffen. Als ihn nach verlorener Schlacht das Todesurteil erreichte, setzte Kurfürst Johann Friedrich das Schachspiel mit seinem Vetter ungerührt fort. Ganz so, als habe er »irgend einen gleichgültigen Privatbrief erhalten«, beschrieb später ein kaiserlicher Diplomat die Szene aus der Gefangenschaft des Fürsten nach der verlorenen Schlacht von 1547 bei Mühlberg an der Elbe. Die Anekdote, in verschiedenen Variationen überliefert, darf in keiner Biografie des glücklosen Ernestiners fehlen. Auch die Jenaer Germanistin und Historikerin Sylvia Weigelt erzählt sie weiter – und knüpft daran die Frage, ob denn die Gelassenheit Johann Friedrichs »allein auf sein Gottvertrauen zurückzuführen« sei:

»Könnte es nicht sein, dass er, der passionierte Spieler, auch das Leben als Spiel nahm, bei dem man nun einmal gewann und ein anderes Mal verlor?«

Die promovierte Autorin zeichnet unter dem Titel »Mein Glück geht auf Stelzen« nicht nur ein plastisches Lebensbild von Johann Friedrich I. (1503-1554) mit vielen bewegenden Facetten. Zugleich entwirft sie ein anschauliches Panorama von den damaligen bewegten Zeitläuften. Damit gibt es erstmals wieder nach hundert Jahren eine griffige Gesamtdarstellung des ernestinischen Kurfürsten. Er war einer der entschiedensten Verfechter der protestantischen Sache – doch am Ende gehörte auch er zu den »wenig schlagkräftigen Freunden« im Zeitalter der Reformation, als die Golo Mann einst die Protestanten ausmachte. Sie seien zwar fähig gewesen, »die rostig uralten Maschinerien des Reiches lahmzulegen, indem sie Streitfragen durch die Jahre schleppten, spitzfindige Memoranden produzierten, notfalls in leidlicher Geschlossenheit eine Tagung verließen. Aber sie waren nicht fähig, ihre Kräfte zu summieren in kräftiger Aktion.«

Lucas Cranach d. Ä., Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen, 1526, Klassik Stiftung Weimar

Lucas Cranach d. Ä., Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen, 1526, Klassik Stiftung Weimar

An dieser Crux scheiterte nicht zuletzt das von Johann Friedrich geführte protestantische Trutzbündnis Schmalkaldischer Bund. Als oberster Heerführer steuerte er das Bündnis geradewegs in die Katastrophe und ging daraus hervor als »der gescheiterte Kurfürst«, wie der Untertitel der neuen Biografie trefflich lautet. Sie zeigt auf, welche Konsequenzen das Scheitern für ihn hatte – den Verlust der Kurwürde, der Residenz Torgau und großer Landesteile sowie nach der Begnadigung die fünfjährige Gefangenschaft als lebende Trophäe an der Seite des herumreisenden und triumphierenden Kaisers.

Aber auch das Neue, das letztlich aus der Niederlage an der Elbe erwuchs, kommt in den Blick: »Was wäre aus Jena ohne die Universität und die hier wirkenden großen Geister geworden?«, fragt die Autorin und verweist zudem auf die Profilierung der Residenz Weimar zur Bastion des Luthertums mit einem entsprechenden geistigen Umfeld. Jenseits dieser weithin bekannten Fakten und Zusammenhänge aber richtet die Biografin das Augenmerk dankenswerterweise immer wieder auf das Persönliche. Der grandios Gescheiterte wird greifbar in der ganzen Vielfalt seiner Persönlichkeit, von der Genießerfreude an üppig gedeckten Tafeln über sein Faible für Ritterspiele bis hin zur schier unerschütterlichen Liebe zu seiner Gemahlin Sibylle.

Lucas Cranach d. Ä., Sibylle von Cleve, 1526, Klassik Stiftung Weimar

Lucas Cranach d. Ä., Sibylle von Cleve, 1526, Klassik Stiftung Weimar

Die schöne Herzogstochter aus dem Hause Jülich-Kleve-Berg war es im Übrigen auch, die einst Sylvia Weigelt den Impuls gab für eine mehrjährige Beschäftigung mit dieser Materie. Aus der anhaltenden Begeisterung der Germanistik-Studentin für ein Gemälde wurde später eine Monografie über »Cranachs schönes Modell«, und um Johann Friedrich und Sibylle geht es auch in ihrem Buch über das Wasserschloss »Zur fröhlichen Wiederkunft« im ostthüringischen Wolfersdorf bei Kahla. Dort feierte die Fürstenfamilie im September 1552 das glückliche Ende der kaiserlichen Gefangenschaft. Als sie in Mühlberg begann, musste sich Johann Friedrich von seinen riesigen Reitstiefeln trennen. Daraus wurde bald die Legende, im weiten Stiefelschaft habe ein vierjähriger Junge Platz gefunden. Doch auf diese Anekdote hat Sylvia Weigelt in der Biografie verzichtet. Gelegentlich garniert sie damit ihre Buchlesungen.

Sylvia Weigelt: Mein Glück geht auf Stelzen. Der gescheiterte Kurfürst Johann Friedrich I., Quartus Verlag, Bucha bei Jena, 24,90 Euro