Carolin Gasse, »Contour & Contenu« © Carolin Gasse

Carolin Gasse: »Contour & Contenu«

»Von Winckelmann inspiriert – Bauhaus-Künstler zwischen moderner Antike und antiker Moderne«: Durch Winckelmanns Schriften habe sich ihre Wahrnehmung alter Statuen verändert, schreibt Künstlerin Carolin Gasse. Während er die Kontur des Körpers als das Wichtigste erachtete, zeigen ihre Bilder die Details.

Ich kenne die Antike aus dem Geschichtsunterricht. Weiße Marmorstatuen in tragischen Posen, voller Locken und zu vielen Muskeln sind für mich etwas Gewohntes, immer  Dagewesenes, etwas Totes. Mir wurde die Antike nie als Kunst vermittelt, sondern als  Geschichte. Daten, Namen, Epochen, auswendig lernen, still sitzen. Wer jeden Morgen  Austern zum Frühstück bekommt, mit dem Trichter verabreicht und ohne eine Wahl zu  haben, kommt auch nicht auf die Idee, Austern zu mögen.

Carolin Gasse, »Contour & Contenu« © Carolin Gasse

Carolin Gasse, »Contour & Contenu« © Carolin Gasse

Die Antike mit dem Blick eines vor drei Jahrhunderten geborenen Menschen zu sehen, ist  eine sehr interessante Erfahrung. Die perfekt ineinanderfließenden Linien, imposante  Körper, die ausschließlich aus Rundungen bestehen, immer wieder der Vergleich mit den Wellen des Meeres: Durch die Augen von Winckelmann verändert sich doch tatsächlich meine Wahrnehmung dieser alten Statuen. Mein Blick wird auf wunderschöne Details gelenkt, die an Größe gewinnen.

Carolin Gasse, »Contour & Contenu« © Carolin Gasse

Carolin Gasse, »Contour & Contenu« © Carolin Gasse

Ein starkes Gefühl von Trotz und ein Bedürfnis nach »Sich-los-machen« bleiben dennoch.  Man darf nicht vergessen, dass diese Plastiken auch Schönheitsideale im antiken  Griechenland widergespiegelt haben. Der männliche Körper in Bewegung, voll bepackt mit Muskeln, in dramatischen, stoischen, heroischen Posen; Der weibliche Körper, rundlich  und in sich gekehrt, meistens doch noch in ein Stück Stoff gehüllt. Schönheitsideale voller Stigmata. Ein »Dazwischen« gibt es kaum.

Carolin Gasse, »Contour & Contenu« © Carolin Gasse

Carolin Gasse, »Contour & Contenu« © Carolin Gasse

Winckelmann selbst, der schreibt »je weißer der Körper, desto schöner«, die Kontur sei das Wichtigste und auf Adern und Sehnen könne man verzichten. Die Tatsache, dass er das Ideal des weißen Körpers doch wieder überdenkt als sich herausstellt, dass die antike Kunst meist koloriert war: Da bleibt doch noch Grund zum Trotz.

Carolin Gasse, »Contour & Contenu« © Carolin Gasse

Carolin Gasse, »Contour & Contenu« © Carolin Gasse

Meine Bilder zeigen die Details. Berge, Kluften, Felder aus Knochen, Haut und Haaren. Adern und Sehnen sind natürliche Zeichnungen. Die weiße Farbe steht im Kontrast zur  Farbigkeit des Körpers und schafft es doch nicht, die Struktur der Haut zu übertünchen. Nichts was lebendig ist, ist nur weiß. Den Körperbau als Ganzes braucht es nicht, der ist auch heute noch belastet durch Schönheitsideale.

Unter dem Motto »Von Winckelmann inspiriert – Bauhaus-Künstler zwischen moderner Antike und antiker Moderne« haben wir Künstlerinnen und Künstler der Bauhaus-Universität Weimar dazu eingeladen, sich kreativ mit Johann Joachim Winckelmann und seinem Wirken zu beschäftigen. Bis zum Ende der Ausstellung am 2. Juli veröffentlichen wir die unterschiedlichen Ergebnisse dieser künstlerischen Zusammenarbeit wöchentlich im Blog.

Carolin Gasse

Geboren 1992 in Werl, Nordrhein-Westfalen, studierte Carolin Gasse zunächst an der Université de Strasbourg »Arts du Spectacle«. Seit Oktober 2014 studiert sie »Freie Kunst« an der Bauhaus-Universität in Weimar. Für die Arbeiten »Lass uns verschwinden« und »Masken« erhielt sie den GRAFE-Kreativpreis. Carolin Gasse ist Preisträgerin 2016 der Stiftung Ulla und Eberhardt Jung.

Die Ausstellung »Winckelmann. Moderne Antike« ist vom 7. April bis 2. Juli 2017 im Neuen Museum in Weimar zu sehen.

Zur Website der Künstlerin

5 Fragen an Künstlerin Carolin Gasse

Zur Winckelmann-Ausstellung

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