Unbekannter Künstler, Johann Joachim Winckelmann, nach der Vorlage von Anton Raphael Mengs, um 1760 © Klassik Stiftung Weimar

Der Mordfall Winckelmann

Woher kommt der Mythos um Winckelmanns Tod? Ein Gespräch mit dem Juristen Prof. Dr. Mathias Schmoeckel, der seit 1999 Deutsche und Rheinische Rechtsgeschichte an der Universität Bonn lehrt.

Herr Schmoeckel, Sie haben eine Publikation über den Mord an Johann Joachim Winckelmann verfasst: »Fiat Iustitia: Thema und Variationen über einen Mord in Triest«. Was fasziniert Sie an diesem Fall?

Der Fall ist so einzigartig, weil er in besonderer Weise Gewöhnliches mit Ungewöhnlichem verbindet. Auf der einen Seite haben wir das Opfer, das dem Fall ungewöhnlich viel Aufmerksamkeit zuteilwerden lässt. Auf der anderen Seite zeigen die publizierten Unterlagen, dass wir es aus juristischer Sicht mit einem eher typischen Fall zu tun haben, der illustriert, wie gründlich die Justiz im 18. Jahrhundert verfahren konnte. Wenn wir uns normalerweise mit einem historischen Strafrechtsfall beschäftigen, stehen bestenfalls die Akten zur Verfügung. In diesem Fall haben wir eine nicht enden wollende, bis heute anhaltende Flut von Publikationen. Noch immer machen sich Menschen Gedanken darüber, wie der Fall zu lösen ist.

Woher rührt der Mythos um Winckelmanns Ableben?

Dadurch, dass Winckelmann nicht einfach als braver Gelehrter in hohem Alter in seiner Stube verstorben ist, umgibt sein Ende eine gewisse Romantik. Das ist, glaube ich, ein ganz allgemeines Phänomen und hat der Rezeption von Winckelmann wahrscheinlich gut getan, denn er ist gestorben, als er gerade sehr bekannt war. Vielleicht wäre ein Tod mit 80 oder 90 Jahren eher schädlich für die Rezeption gewesen. Jedenfalls sehen wir, wie ab 1768 die Kultur der Memorabilien um Winckelmann Fahrt aufnahm. Ab diesem Moment gab es auch das Bedürfnis, sich zu diesem Tod zu verhalten.

In Triest war Winckelmann weitgehend unbekannt, seinen Namen ermittelte man erst im Laufe des Prozesses. Winckelmann war dort im Gegensatz zu Rom oder Wien keine Berühmtheit. Die Erwartungshaltungen an den Prozess in den einzelnen Städten waren dadurch vollkommen unterschiedlich: in Triest ging es um den Mörder, anderswo mehr um Winckelmann.

Würden Sie sagen, dass es sich um einen klassischen Raubmord handelte?

Es gibt sehr gute Hinweise dafür. Winckelmann ist nicht gleich verstorben, sondern war über Stunden hinweg ansprechbar und ist allmählich verblutet. Während der Befragung hat er auf den Täter verwiesen und auch das Motiv der Habgier genannt. Sein Attentäter konnte mit allen Gegenständen, die mit dem Mord in Verbindung standen, gefasst werden – den Goldmünzen, aber auch Messer und Strick, die er bei der Ermordung oder dem Mordversuch einsetzte.

Der Mörder wurde zum Tod durch Rädern verurteilt. Eine damals übliche Strafe?

Zum alten Strafprozess gehörte, dass die Tat mit der Todesstrafe geahndet wurde. Insoweit illustriert der Fall exemplarisch, wie das alte Strafrechtssystem funktionierte, auf dessen Grundlage letztlich auch das politische System des Ancien Régime basierte. Auf der anderen Seite ereignete sich dieser Fall zeitlich längst in der europaweiten Diskussion um Folter und die Todesstrafe. Wir können durchaus vermuten, dass es in dieser Region eine der letzten öffentlichen Hinrichtungen, jedenfalls durch das Rad, war. Daher ist der Fall zwar typisch für die Tradition der Frühen Neuzeit, in seiner Zeit jedoch bereits ein Auslaufmodell.

Weiß man heute, welche Verbindung zwischen Winckelmann und dem Mörder bestand?

Wir wissen eigentlich nur, dass sich die beiden auf der Reise zusammenschlossen, aber nicht aus welchem Grund. Ungewöhnlicher ist jedoch, dass sie in demselben Hotel sogar in benachbarten Zimmern abstiegen, obwohl sie aus ganz unterschiedlichen sozialen Schichten kamen. Welche Gründe darüber hinaus für diese Gemeinschaft bestanden, wissen wir nicht. Das ist natürlich Grundlage für eine Vielzahl von Phantasien.

Durch die genaue Überlieferung kann man den Triester Prozess von 1768 dem heutigen Betrachter auch visuell außergewöhnlich nahe bringen. So verbindet sich die Rechtsgeschichte mit der Kulturgeschichte et cetera zu einer dichten Betrachtung der Erwartungen an Gerechtigkeit.

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