Brief Herman Grimms an Ruland, 1874 © Klassik Stiftung Weimar

Carl Ruland (links) mit Dr. Ernst Becker, © Lotte Hoffmann-Kuhnt

Karl von Normann an Ruland 22. Januar 1872 © Klassik Stiftung Weimar

Herman Grimm © Klassik Stiftung Weimar Fotothek

Berthold Woltze: Carl Alexander, Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach, Pastell unter Glas © Klassik Stiftung Weimar

Ruland intim II:
Ruf des Kronprinzen nach Berlin

Berlin, 1872: Es herrscht Aufbruchsstimmung in den Berliner Museen, deren neuer Protektor Kronprinz Friedrich Wilhelm (1831–1888) für Neuanschaffungen Gelder in ungewohnter Fülle fließen lässt und lange vakante Direktorenposten besetzt. Auch für den 70-jährigen Direktor des Kupferstichkabinetts, Heinrich Gustav Hotho (1802–1873), sucht man einen würdigen und kompetenten Nachfolger und richtet dabei den Blick nach Weimar.

Dort arbeitet Carl Ruland noch keine zwei Jahre als Direktor der Großherzoglichen Kunstsammlungen.

Doch in Fachkreisen gilt er bereits als exzellenter Kunstkenner und versierter Museumsmann.

Auch seine Verdienste am englischen Königshof sind Kronprinz Friedrich Wilhelm nicht unbekannt. Schließlich stammt Prinzessin Viktoria, die Ehefrau des Kronprinzen, aus jener englischen Königsfamilie, zu der Ruland einst ein vertrautes Verhältnis unterhielt. (Ruland intim I: Privatsekretär der Royal Family)

Ein erstes Vorgespräch findet statt, in dem Ruland einem Wechsel nach Berlin offenbar skeptisch gegenübersteht. Nichtsdestotrotz überträgt Friedrich Wilhelm seinem ersten Adjutanten, dem preußischen Diplomaten Karl von Normann (1827–1888), die Aufgabe, mit einer diplomatisch-klugen Werbung nochmals und nachdrücklich an Ruland heranzutreten.

Carl Ruland (links) mit Dr. Ernst Becker, © Lotte Hoffmann-Kuhnt

Carl Ruland (links) mit Dr. Ernst Becker, © Lotte Hoffmann-Kuhnt

Am 22. Januar 1872 schreibt darauf Normann an Ruland: »Sehr geehrter Herr, am Schlusse der Unterredung, welche ich vor einigen Monaten mit Ihnen zu führen das Vergnügen hatte, kamen wir – irre ich nicht – dahin überein, daß Kaiserliche Hoheit der Kronprinz den Versuch machen werde, durch persönliche Einwirkung auf den Großherzog Sie von den Verpflichtungen zu befreien, welche Sie in Weimar fesseln und Sie für Berlin zu gewinnen.«

Doch zuvor solle Ruland Bescheid geben, ob er an der Direktorenstelle für das Kupferstichkabinett tatsächlich interessiert sei. Sie werde übrigens mit 1.600 Reichsmark dotiert, mit Aussicht auf weitere Zuverdienste.

»Sie wissen, welchen Werth meine Herrschaften auf Ihr Kommen legen, welchen Dienst Sie einer großen und edlen Sache leisten würden, wenn Sie sich entschlössen, Weimar mit Berlin zu vertauschen.«

Ruland jedoch gefällt es in Weimar; er lässt sich von Normann nicht überzeugen. Großherzog Carl Alexander dankt seinem Direktor für die »Ablehnung des aus Berlin an ihn gegangenen ehrenvollen und vortheilhaften Rufs« am 9. Februar 1872 mit der Verleihung des Ritterkreuzes I. Abteilung des Weimarischen Hausordens der Wachsamkeit oder vom Weißen Falken. Auch eine Gehaltszulage von 100 Reichsmark gewährt Carl Alexander und bekräftigt damit seinen Wunsch, Ruland auch künftig in Weimar zu halten.

 Karl von Normann an Ruland 22. Januar 1872 © Klassik Stiftung Weimar

Karl von Normann an Ruland 22. Januar 1872 © Klassik Stiftung Weimar

In Berlin spitzt sich derweil die Lage um Heinrich Gustav von Hothos Nachfolge zu. Als Hotho am 24. Dezember 1873 schließlich stirbt, sieht Normann keine andere Möglichkeit, als Carl Ruland, trotz seiner Ablehnung zwei Jahre zuvor, erneut für die Direktorenstelle des Kupferstichkabinetts anzufragen.

»Es wäre mir sehr wünschenswerth«, schreibt Normann am 2. Januar 1874 an Ruland, »zu wissen, ob Sie jetzt geneigter sein würden, die fragliche Stelle anzunehmen. Ich gebe mich dabei der Hoffnung hin, daß Ihre vor eben zwei Jahren erfolgte Ablehnung eines ähnlichen Anerbietens aus Gründen statt fand, die heute nicht mehr dieselbe Kraft haben.«

Neben der Stelle des Direktors bietet Normann zusätzlich einen Bibliothekarsposten in den königlichen Museen an, die Rulands Gehalt auf insgesamt 3.600 RM bringen soll. Berlin will sich die Abwerbung des Direktors der Großherzoglichen Kunstsammlungen in Weimar einiges kosten lassen. Doch Ruland lehnt erneut ab.

Herman Grimm © Klassik Stiftung Weimar Fotothek

Herman Grimm © Klassik Stiftung Weimar Fotothek

»Ich weiß nicht, wofür Sie mich halten, daß mir so sehr an Ihnen gelegen ist…« schreibt Anfang 1874 der Kunsthistoriker Herman Grimm (1828–1901) an Ruland. Der Sohn von Wilhelm Grimm ist ein Kenner der Weimarer Kulturszene und schaltet sich nach Normanns letztem Brief als Vermittler ein: »Es handelt sich einfach darum, in einem Momente hier einen anderweitig nicht zu besetzenden Posten einzunehmen, den Sie einfach die Pflicht haben zu übernehmen. Sie kennen den vorhandenen Personalbestand in Deutschland: es ist einfach – wenn wir nicht Gesindel nehmen wollen – Niemand da.«

Grimm warnt vor der Provinzstadt Weimar, in der Ruland – seiner Meinung nach – wenig Aussicht auf eine Karriere haben werde.

»Sie befinden sich als Junggeselle bei angenehmer Gesundheit, Neuheit de part et d’autre, 1300 M Gehalt und angenehmen, noch nicht ausgetretenen Gesellschaftsverhältnissen, auch Vertrauen von oben und unten, äusserst behaglich. Hier ist das Clima kein so mildes.

Allein es ist viel gesunder. Warten Sie in Weimar einige Jahre ab, um zu den eingewohnten Personen zu gehören, deren Schwächen man kennt und die ihrerseits die Schwächen aller Anderer kennen. Es wird dann von nichts die Rede sein, als von diesen Schwächen. Alle positive Arbeit, sollte sie dann überhaupt noch verlangt werden, erläge diesem elenden Gefühle und käme nicht in Rechnung. Avancement giebt es nicht für Sie. Unerträgliche Beobachtung von allen Seiten.

Brief Herman Grimms an Ruland, 1874 © Klassik Stiftung Weimar

Brief Herman Grimms an Ruland, 1874 © Klassik Stiftung Weimar

Und nun heirathen Sie vielleicht und haben eine Frau, an deren Addresse das sicher geht was an Sie selber bis dahin gar nicht addressabel war. Daß dieser Moment, verschärft durch Launen von hoher Seite, die jetzt sich nicht herauswagen, kommen werde, darüber sind Sie selber doch nicht im Zweifel? Und was dann?«

In Berlin dagegen stünden Ruland alle Möglichkeiten offen:

»Hier ist die Atmosphäre, wo Männer von 50 noch eine Carrière vor sich haben, wo jede Carrière in infinitum geht, wo, wenn man eine Hand hat zu säen, Saat aufgeht, und so Thätigkeit und Anstrengung diese Hand kräftig hält.«

Auch Arrangements, damit Ruland weiterhin mit Weimar verbunden bliebe, seien möglich. Doch dieser sagt nun definitiv ab, auch aus persönlichen Gründen. Er hat am 20. November 1873 die ehemalige Weimarer Hofschauspielerin Marie Schulz geheiratet, nachdem ihm sein Dienstherr Carl Alexander am 18. Juli 1873 die schriftliche Heiratserlaubnis erteilt hatte. Ein Jahr nach der Hochzeit wird sein einziges Kind Carl Günther geboren werden.

Rulands erneute Absage an Berlin bringt ihm bei Carl Alexander noch einmal eine Gehaltssteigerung um 330 Reichsmark auf 1800 Reichsmark jährlich ein.

Berthold Woltze: Carl Alexander, Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach, Pastell unter Glas © Klassik Stiftung Weimar

Berthold Woltze: Carl Alexander, Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach, Pastell unter Glas
© Klassik Stiftung Weimar

Im Oktober 1874 ist der Direktorenposten in Berlin noch immer unbesetzt. Und so schreibt der erste Adjutant des Kronprinzen noch einmal an Ruland. Diesmal jedoch nicht mehr um den Direktor der Großherzoglichen Kunstsammlungen abzuwerben:

»Was mich heute bewegt an Sie zu schreiben, ist nicht etwa die Absicht, eine neuen Versuch zu unternehmen, um Sie für uns zu gewinnen. Ich ehre Ihren Entschluß und die Gründe, welche ihn hervorgerufen, zu sehr, um nochmals darauf zurückkommen zu dürfen. Auf der anderen Seite aber halte ich mich überzeugt, daß Ihr Interesse für unser Museum lebendig genug ist, um uns bei der Besetzung des fraglichen überaus wichtigen Postens mit Ihrem Rathe zu Hülfe zu kommen.«

Normann erbittet von Ruland eine Einschätzung zu Moritz Thausing, der seit 1868 die Leitung der Albertina in Wien innehat. Doch auch Thausing folgt dem Ruf aus Berlin nicht und bleibt in Wien. Schließlich machen seine Kollegen, die bereits an den Berliner Museen wirken, auf einen ihrer Freunde aufmerksam, der ebenfalls in Deutschland als hervorragender Sammler gilt: Friedrich Lippmann, Kustos im Museum für Kunstgewerbe in Wien.

Carl Ruland verbleibt in Weimar. Doch die Briefe aus Berlin bewahrt er auf, in einem von ihm mit »Berufung nach Berlin« beschrifteten Umschlag. Diese in seinem privaten Nachlass erhaltenen Briefe werden hier erstmalig der Öffentlichkeit vorgestellt.

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Transkription der Briefe

Transkriptionen von Ulrike Müller-Harang (78 KB)

Ulrike Müller-Harang

Studium der Germanistik und Slawistik, seit 1982 wissenschaftliche Mitarbeiterin der Klassik Stiftung Weimar, arbeitet im Goethe- und Schiller-Archiv an der Erschließung von Goethes Rechnungen. Veröffentlichungen zur Kulturgeschichte des klassischen und nachklassischen Weimar in Ausstellungskatalogen und Jahrbüchern, Provenienzforschung, Theater-, Museums- und Musikgeschichte

Literatur von und über Ruland:

Carl Ruland, Raphael Santi’s Decken-Gemälde der Stanza dell’Elidoro im Vatican/Raphael Santi. Nach den Zeichnungen Niccola Consonis gestochen von Ludwig Gruner und Theodor Langer. Mit erläuterndem Vorwort von C. Ruland. Herausgegeben von Ludwig Gruner. Dresden 1875.

ders. The works of Raphael Santi da Urbino as represented in the Raphael Collectionin the Royal Library at Windsor Castle formed by the prince consort 1853-1861 and completed by her Majesty Queen Victoria, London 1876.

ders. Pestilentia in nummis: Geschichte der grossen Volkskrankheiten in numismatischen Documenten; Ein Beitrag zur Geschichte der Medicin und der Cultur; Von L. Pfeiffer und C. Ruland, Tübingen 1882.

Ulrike Müller-Harang, Carl Ruland und das Goethe-Nationalmuseum. In: Von Berlin nach Weimar. Von der Kunstkammer zum Neuen Museum. Kolloquium zu Ehren von Rolf Bothe. Herausgegeben von Gert-Dieter Ulferts und Thomas Föhl. München, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2003, Seite 144- 161.

dies. Vom Wohnhaus zum Museum- Das Goethe-Nationalmuseum im Kontext der großherzoglichen Kulturpolitik. In: Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach. Erbe, Mäzen und Politiker. Hrsg. von Lothar Ehrlich und Justus H. Ulbricht. Böhlau Verlag Köln u.a., 2004, Seite 189-200.

Weitere im Text verwendete Quellen:

Briefe: Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Department des Kultus 287.

Wilhelm Bode: „Friedrich Lippmann, Direktor des Berliner Kupferstichkabinetts, gestorben am 2. Oktober 1903“ in: Kunstchronik Nr. 5 vom 20. November 1903.

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