5 Fragen an Kathy Schubert
Mit Ihrem Werk »Down!« hat Kathy Schubert den Preis der Stiftung Ulla und Eberhard Jung 2017 gewonnen. Ein Gespräch über gesellschaftliche Zwänge und Fallen, denen man entkommen kann.
Frau Schubert, wie sehen Sie unsere Gesellschaft?
Definitiv kritisch. Ich beobachte viele Dinge, die aus meiner Perspektive falsch laufen. Diese alltäglichen oder auch politischen Sachverhalte versuche ich dann in meinen Arbeiten zu behandeln. Ich informiere mich jeden Tag, was in der Welt geschieht. Am meisten interessiert mich, wie mit Menschen umgegangen wird – wie Menschen behandelt werden aufgrund ihrer Position, Abstammung oder Herkunft. Ungerechte Situationen, die mir auf der Seele brennen, sind meine Inspiration. Momentan beschäftige ich mich mit Gewalt, die nicht offensichtlich und doch existent ist. Auslöser dafür, dass ich Künstlerin wurde, waren wohl meine eigenen derartigen Erfahrungen. Nur wusste ich früher nicht, wie ich meine Erlebnisse kommunizieren soll. Dann habe ich die Kunst als Ventil für mich entdeckt. Ich möchte über meine Installationen und Objekte Verborgenes sichtbar machen und eine neue Bedeutungsebene erschließen.
Über das preisgekrönte Werk ›Down‹ schreibt Ihre Professorin Jana Gunstheimer, dass es als Symbol für unerfüllbare Normen und Zwänge in unserer Gesellschaft gedeutet werden kann. Was hat es damit auf sich und wie kamen Sie auf diesen Titel?
Der Titel bezieht sich zunächst auf die räumliche Bestimmung, auf den Stuhl als Ort und Platz. Andererseits verstehe ich »Down« als Aufforderung: Nimm Platz! Das kann man auch so interpretieren, dass es darum geht, seinen Platz im Leben zu finden. Natürlich sind meine dysfunktionalen Stühle als unerfüllbare Normen und Zwänge in unserer Gesellschaft deutbar, aber ich persönlich sehe das positiver – als Chance. Einer der Stühle besteht aus Papier und sieht echtem Holz sehr ähnlich. Man erkennt auf den ersten Blick nicht, dass er kein Gewicht aushalten wird. Doch der andere ist aus Stoff genäht und mit Füllwatte befüllt. Bei ihm ist also deutlich zu sehen, dass er das Gewicht eines Menschen nicht trägt. Der Falle, die ich damit stelle, kann jeder entkommen. Dadurch, dass Materialität und Beschaffenheit der Stühle erkennbar sind, kann die Situation durchschaut werden.
›Down‹ steht in einer Reihe mit vorherigen Installationen, in denen Sie Alltagsgegenstände verfremdet und für ihren ursprünglichen Gebrauch untauglich gemacht haben (›1.UG links‹, ›Kommunikationsfreie Gewalt‹…). Was versprechen Sie sich von dieser Vorgehensweise?
Ich benutze gern Möbel, weil wir alle sie aus dem alltäglichen Leben kennen. Wenn ich bekannte Gegenstände verfremde, wie das Bett aus ›1.UG links‹, das gefliest ist und Abflüsse hat, dann findet eine Verschiebung statt. Hier wird eine neue Perspektive eröffnet. Zunächst ist eine alltägliche Situation gemeint, aber es steckt mehr dahinter. Wie auch bei der Installation ›Kommunikationsfreie Gewalt‹. Die Situation soll Beklemmung vermitteln und eine bestimmte Szenerie vorstellbar machen. An diesem Tisch ist die Kommunikation verkehrt, denn alles läuft auf eine Person zu. Der Betrachter bekommt eine Idee des Problems: Hier herrscht keine Balance im Austausch – es wird über etwas nicht gesprochen, da die Rinnen alle auf eine Person zulaufen und der Inhalt im Abfluss mündet.
Wie reagieren Menschen auf Ihre Kunst? Verstehen sie die symbolische Ebene Ihrer Arbeiten?
Bei den Stühlen war es so, dass besonders die Materialien das Interesse weckten. Allerdings fiel der Stuhl aus Stoff häufig um, nachdem er angefasst wurde. Es entstand eine peinliche Situation und die Leute versuchten, ihn wieder aufzustellen. Diesen Dialog und die entstehende Thematik, wie geht man eigentlich mit Kunst um, fand ich spannend. Mehrere Menschen setzten sich auch auf den Papierstuhl, den ich deshalb mehrmals reparieren musste.
Bei dem gefliesten Bett kam eine Altenpflegerin auf mich zu und fragte mich, ob ich damit die Abfertigung alter Leute in Heimen meine, weil man die Liege einfach abwischen kann und alles in den Abfluss fließt. Das fand ich sehr interessant. Jeder soll in meine Werke hineininterpretieren, was er sieht. Es geht nicht um meine eigene Wahrheit, sondern um die jedes Einzelnen. Ich finde es gut, wenn Dinge so offen wie möglich sind.
Sie möchten anderen die Interpretation Ihrer Kunst nicht vorschreiben, beziehen innerhalb Ihrer Arbeiten aber dennoch Haltung. Was für eine Gesellschaft wünschen Sie sich?
Eine, die kritisch beobachtet, was in der Welt passiert. Die mehr hinterfragt und nicht alles hinnimmt. Es ist ja so, dass sich ständig historische Geschehnisse wiederholen, wir aber nicht daraus lernen. Wie beispielsweise der Umgang mit Flüchtlingen oder anderen, uns fremden Meinungen. Ich habe das Gefühl, dass sich momentan vieles Rückwärts bewegt, gerade auch in Hinblick auf politische Parteien. Ich wünsche mir, dass wir aus der Geschichte lernen, dass wir Menschen und Meinungen, die anders sind, akzeptieren und vor allem integrieren. Meiner Meinung nach sollte Kunst kritisch sein und auch gern politisch.
Zweck der unselbstständigen Stiftung Ulla und Eberhard Jung ist die Förderung der Bildenden Kunst. Die Förderung erfolgt durch die Klassik Stiftung Weimar, insbesondere durch Auslobung von Preisen, Durchführung von Ausstellungen und Veranstaltungen und die Vergabe von Stipendien. Für den von der Stiftung Ulla und Eberhard Jung ausgelobten Preis nominiert die Bauhaus-Universität Weimar jährlich bis zu fünf Arbeiten. Das für die Klassik Stiftung Weimar angekaufte Werk wird Teil der Sammlung des Neuen Museums.