Zum 200. Todestag August von Kotzebues
August von Kotzebue war nicht nur Autor rührseliger Theaterstücke, er vertrat auch vehement konservative, reaktionäre Ansichten. Das machte ihn besonders in studentischen Kreisen zum meistgehassten Mann in Deutschland. Vor 200 Jahren wurde er ermordet.
Am 23. März 1819 wurde August von Kotzebue durch den Studenten Carl Ludwig Sand in seiner Mannheimer Wohnung mit einem Dolch niedergestochen und starb unmittelbar an den Folgen des Anschlags. In der Ausstellung „Schätze des Goethe- und Schiller-Archivs“ in Weimar ist dem politischen Kotzebue anlässlich seines 200. Todestages eine Vitrine gewidmet.
August Friedrich Ferdinand Kotzebue (1761–1820, ab 1785 geadelt) wurde am 3. Mai 1761 in Weimar als drittes Kind des Legationsrats Levin Carl Christian Kotzebue und Anna Christiane geb. Krüger geboren. Der Vater verstarb kurz nach seiner Geburt. Die Mutter wohnte mit den zwei Söhnen und der Tochter zunächst im Gelben Schloss, später in der Schlossgasse 6 in Weimar. Kotzebue galt früh als Wunderkind mit einer Begabung fürs Literarische. Jedoch zeichnete sich auch bald sein widersprüchlicher Charakter ab, der sich stets im Spannungsfeld zwischen Provokation und Anpassung bewegte. 1781 verließ er seine Heimatstadt und ging nach Russland. In Petersburg wurde er Sekretär des Generalingenieurs von Bauer.
Es gelang ihm eine außerordentliche Karriere: Bereits 1785 wurde er zum Präsidenten des Gouvernements-Magistrats der Provinz Estland ernannt und erhielt den persönlichen Beamtenadel. Mit den Stücken „Adelheid von Wulfingen“, (1789), „Menschenhaß und Reue“ (1790) und „Die Indianer in England“ (1790) machte er sich schnell international als Autor rührseliger Theaterstücke einen Namen und wurde zu einem der erfolgreichsten, meistgespielten Bühnenautoren der Goethe-Zeit. Er verfasste so viele Stücke, dass er sie offenbar selbst nicht zählen konnte: Während er glaubte, es seien 211 Dramen, Lustspiele, Possen und Singspiele gewesen, sind die heutigen Philologen beim Nachrechnen auf 230 Stücke gekommen.
Goethe, der in seiner Funktion als Theaterdirektor zahlreiche Kotzebue-Stücke ins Repertoire des Weimarer Hoftheaters aufnahm, lobte dessen „vorzügliches, aber schluderhaftes Talent“. Dies war auch der Grund, warum er häufig Änderungen an den Stücken vornehmen ließ. Gleichwohl wusste er, dass Kotzebues Stücke die Kasse des Hoftheaters füllten und so ließ er ihn als Dramatiker vor allem auch aus ökonomischen Gründen gelten. Er attestierte ihm gar: „Denn er bleibt in der Theatergeschichte immer ein höchst bedeutender Meteor.“ – Dass sich ab 1802 eine erbitterte Feindschaft zwischen Goethe und Kotzebue entwickelte, ist eine Geschichte, die an anderer Stelle erzählt werden muss.
Kotzebue schrieb nicht nur literarische Texte, sondern meldete sich auch immer wieder politisch zu Wort. Dabei vertrat er vehement konservative, reaktionäre Ansichten und positionierte sich gegen jede revolutionäre Bewegung. Am deutlichsten wird seine antirevolutionäre Haltung in seiner Schrift „Memoiren über den Revolutions Geist, in Rücksicht auf einige Russische Provinzen, u. über die Mittel dessen Fortschritte zu hemmen“, die in der „Schätze-Ausstellung“ des Goethe- und Schiller-Archivs gezeigt wird.
Das Manuskript, 1955 vom Goethe- und Schiller-Archiv bei einer Auktion erworben, besteht aus 18 Blättern. Sie sind halbbrüchig auf der linken Seitenhälfte eigenhändig von Kotzebue beschrieben. Zu den ersten sechs Seiten fertigte Kotzebue in der rechten Spalte eine französische Übersetzung an.
Kotzebue führt in dieser Schrift vier repressive Maßnahmen aus, die eine Verbreitung des Revolutionsgeistes in Russland verhindern sollen. Er fordert 1.) die Wiedereinrichtung der am Anfang des 18. Jahrhunderts aufgelösten Universität Dorpat, 2.) das Verbot aller ausländischen Zeitungen und die Einrichtung eines einheimischen Zeitungs- und Nachrichtenbüros, 3.) die Aufstellung eines Katalogs der verbotenen Bücher, eine scharfe Kontrolle jeder Bucheinfuhr sowie 4.) das Verbot der Klubs als Keimzelle revolutionärer Aktivitäten.
Herrscherfreundliche Geschichtsschreibung, seine Verspottung von Turnvater Jahn und der von ihm begründeten, gerade unter Studenten sehr populären Turnerbewegung, Kritik an den Burschenschaften und seine ab 1817 einsetzende Auskunftstätigkeit über politische sowie literarische Entwicklungen in Deutschland und Frankreich für den russischen Zaren machten ihn besonders in studentischen Kreisen zum meistgehassten Mann in Deutschland.
Der Theologiestudent Carl Ludwig Sand sah sich dazu berufen, diesen „Verräter des Vaterlandes“, wie er ihm am 23. März 1819 noch zugerufen haben soll, zu ermorden. Als Sand nach verübter Tat entdeckte, dass Kotzebues vierjähriger Sohn Alexander den Anschlag mit angesehen hatte, stieß er sich im Affekt einen zweiten mitgebrachten Dolch in die linke Seite und flüchtete. Man fand ihn schwer verwundet auf der Straße vor dem Haus. Im Zuchthaus erholte er sich nur bedingt von seiner Verwundung. Seine Hinrichtung wurde auf den 20. Mai 1820 festgesetzt. Die Tat erhitzte die Gemüter: Während das konservative Bürgertum und der Adel nach den Unruhen an der Göttinger Universität im Jahr zuvor den Verfall von Disziplin und Moral an den Universitäten bestätigt sahen, avancierte Sand in liberalen Kreisen zum Symbol für Einheit und Freiheit.
Am 20. Mai 1820 wurde Sand am Heidelberger Tor in Mannheim vor großem Publikum enthauptet. Sand saß dabei mit verbundenen Augen auf einem hölzernen Richtstuhl. Kaum war der Leichnam vom Schafott, dem aus Brettern bestehenden Podest, fortgeschafft, „als sich viele der Anwesenden auf dasselbe stürzten, ihre Taschentücher in sein Blut zu tauchen, oder Splitter von dem Gerüste, mit seinem Blute gefärbt, oder Locken von seinen Haaren zu erhalten. Vor dem Angesichte der noch versammelten Zuschauer setzte sich ein Auswärtiger auf den Richt-Stuhl, bahnte sich mit demselben einen Weg durch die staunende Menge, setzte sich dann damit in einen bereitstehenden Wagen und eilte im Galopp davon. <…> Schon trägt man Ringe mit Sand’s Haaren und Splittern des Schafottes.“ – So heißt es im 1820 erschienenen „Nachtrag zu den wichtigsten Lebensmomenten Karl Ludwig Sand’s aus Wunsiedel mit der vollständigsten Erzählung seiner Hinrichtung am 20. Mai 1820“, einer der zahlreichen Veröffentlichungen, die zu dieser Angelegenheit erschienen.
Die in der Schrift genannten Splitter des Schafotts wurden im Folgenden als Devotionalien gehandelt und wie Reliquien aufbewahrt. Zwei solcher Stücke werden auch in der „Schätze-Ausstellung“ gezeigt – sie gelangten 1927 aus dem Nachlass des Archäologen Christian Ludwig Wilhelm Fröhner (1834–1925) ins Goethe- und Schiller-Archiv. Auf dem Papier, auf das sie aufgeklebt wurden, ist zu lesen:
„Am 20ten May ist zu Mannheim Carl Ludwig Sand aus Wunsiedel geköpft worden“
Im Vormärz vereinnahmte der radikalnationale Flügel der Burschenschaft Sand als Identifikationsfigur. Die Folge war der Sieg der Reaktion in Form der Karlsbader Beschlüsse und ihrer umfassenden Reglementierungen aller liberalen Strömungen an deutschen Universitäten.
Die Ausstellung „Schätze des Goethe- und Schiller-Archivs – Folge V: Rund um Jubiläen“ zeigt noch bis 7. April im Goethe- und Schiller-Archiv neben Schriftstücken u.a. von Clara Schumann, Bettina von Arnim, August von Kotzebue und Theodor Fontane einen Brief von Wassily Kandinsky und ein Tagebuch Paul Dobes.