Kooperationsprojekt »Von Einhörnern und Drachentötern«
Unter dem Titel »Von Einhörnern und Drachentötern« sind ab dem 13. November in der Mühlhäuser Marienkirche mittelalterliche Kunstwerke aus Thüringen zu sehen. Schwerpunkt bildet die Weimarer Sammlung. Gert-Dieter Ulferts, Abteilungsleiter Kunstsammlungen, und Thomas Müller, Direktor der Mühlhäuser Museen, im Interview über das Kooperationsprojekt, die Weimarer Sammlung und den besonderen Ausstellungsort.
Wie kam es zum Kooperationsprojekt zwischen der Klassik Stiftung und den Mühlhäuser Museen?
Ulferts: Wir wussten seit 2014, dass sich die Planungen für das Weimarer Stadtschloss so entwickeln, dass sich zukünftig die museale Einrichtung ausschließlich auf dem Bereich der Beletage ausbreiten wird. Als klar war, dass durch das Konzept des Besucherportals im Erdgeschoss bestimmte Flächen nicht mehr zur Verfügung stehen und die Mittelaltersammlung dort keinen Platz mehr finden würde, hatten Herr Dr. Müller und ich die Idee für die Neupräsentation in Mühlhausen. Dazu muss man sagen, dass die Mittelaltersammlung, im Gegensatz zur Cranach-Galerie, im Vergleich zu den Weimarer Kernthemen wie Weimarer Klassik, Moderne um 1900 oder die Reformationszeit eher zurückhaltend von den Weimarbesuchern wahrgenommen wurde. Nachdem die Restauratoren der Klassik Stiftung Ende 2016 bestätigten, dass die Marienkirche konservatorisch als Ausstellungsort geeignet ist, fing die konzeptuelle Arbeit an. Der große Vorteil der Kooperation ist, dass es in Mühlhausen mit Herrn Friedrich Staemmler einen ausgewiesenen Mittelalter-Kunsthistoriker gibt, den wir an der Klassik Stiftung nicht haben. Er hat das Ausstellungskonzept für die Marienkirche entwickelt. Frau Dr. Katharina Krügel und ich waren aber an Inhalten und Umsetzung von Anfang an beteiligt. Durch den Kooperationsvertrag ergab sich die Chance, dass das Projekt von der Staatskanzlei aus dem kommunalen Investitionsprogramm unterstützt wird, da die Marienkirche beispielsweise sicherheitstechnisch ertüchtigt werden muss.
Ein weiterer Punkt, weshalb ich mich für Kooperation eingesetzt habe, ist die Museumsperspektive 2025 der Thüringer Staatskanzlei, die vom Thüringer Museumsverband mit erarbeitet wurde. Ziel dieser Entwicklung in den kommenden Jahren soll auch sein, dass in Thüringen Netzwerke und Kompetenzzentren entstehen. Und Mühlhausen könnte ein solches Kompetenzzentrum für mittelalterliche Kunst werden, weil der Ort an sich geeignet ist. Wer nach Mühlhausen fährt, bekommt das Gefühl, er befinde sich in einer mittelalterlichen Stadt, auch deshalb ist das Thema dort glücklich platziert, auch unter Gesichtspunkten des Marketings. Das, was die Menschen in der neuen Präsentation sehen sollen, ist keine primär kunsthistorische Ausstellung, in der nach Schulen- oder Stilprinzipien geordnet wird. Ziel ist, dass die Besucher verstehen, wie früher ein Kirchenraum funktioniert hat, was die Menschen dort gesehen haben, mit welchen Glaubenswelten das verbunden war und was sich durch die Reformation änderte. In Mühlhausen können wir etwas mit der Sammlung erreichen, das in Weimar in dieser Form wohl nicht möglich wäre.
Was bedeutet die Kooperation für Mühlhausen?
Müller: Wie Herr Dr. Ulferts bereits angemerkt hat, ist Mühlhausen eine durch und durch vom Mittelalter geprägte Stadt. Allein die Tatsache, dass hier noch heute elf gotische Kirchen zu finden sind, ist in Thüringen nahezu eine Singularität. Bedauerlich ist allerdings der Verlust des größten Teils der mittelalterlichen Ausstattung der Kirchen. Dies hängt vor allem mit den Ereignissen des Bauernkrieges und der Reformation zusammen. Die Weimarer Sammlung enthält hingegen genau solche Objekte, d.h. Altäre, Skulpturen und Tafelgemälde, wie sie sich in großer Zahl ursprünglich überall in mittelalterlichen Kirchen Thüringens befanden. Dank der Kooperation mit der KSW und der klugen didaktischen Konzeption, die Herr Staemmler in enger Abstimmung mit Herrn Dr. Ulferts und Frau Dr. Krügel entwickelt hat, finden diese nun für die kommenden Jahre in der Mühlhäuser Marienkirche eine neue Heimstatt. Damit bekommt eine der größten und architektonisch bedeutendsten mittelalterlichen Kirchen Thüringens quasi eine authentisch wirkende Einrichtung aus ihrer Erbauungszeit zurück, denn so reich ausgestattet müssen wir uns das Gotteshaus ursprünglich vorstellen. Es ist ein absoluter Gewinn für Mühlhausen, dass die Weimarer Sammlung hier an diesem großartigen Ort gezeigt werden kann. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der durch den hiesigen Oberbürgermeister Dr. Johannes Bruns (SPD) angestoßenen touristischen Neuausrichtung Mühlhausens als mittelalterliche Reichsstadt.
Seit wann wurde in Weimar mittelalterliche Kunst gesammelt?
Ulferts: Johann Wolfgang von Goethe hat sich Anfang des 19. Jahrhunderts dafür eingesetzt, dass eine Mittelaltersammlung entsteht und hat Altartafeln und Plastiken in Weimar zusammengetragen. Er hat darauf reagiert, dass in dieser Zeit Kirchenräume oftmals umgestaltet und die Ausstattungsstücke in gewisser Weise freigesetzt wurden. Es handelt sich also um Objekte, die aus der Region oder überwiegend aus Thüringen stammen. Das Interesse an altdeutscher Kunst beginnt sich nach 1800 in Deutschland neu zu entfalten, und man kann auch hier erneut feststellen, dass Goethe frühzeitig zukunftweisende Initiativen entwickelt hat. Die Weimarer Sammlung stand ursprünglich im Zusammenhang mit den Plänen zum Wiederaufbau der Wartburg. Die Dinge haben sich dann anders entwickelt und die Kunstwerke verblieben in Weimar. Das heutige Profil der Sammlung und deren Zusammensetzung ist aber erst durch die zahlreichen Erwerbungen des Direktors der Staatlichen Kunstsammlungen zu Weimar, Wilhelm Köhler, in den 1920er Jahren entstanden. Für den Mittelalterspezialisten gehörte die Sammlung sakraler Kunstwerke zum Konzept des nach dem Ende der Monarchie vor 100 Jahren gegründeten Schlossmuseums als Landesmuseum in der neuen Hauptstadt des Freistaats Thüringen.
Was ist das Besondere an der Weimarer Sammlung?
Ulferts: Die Sammlung sakraler Werke bietet einen beispielhaften Einblick in die spätmittelalterliche Kunst Thüringens. Der Großteil der rund 60 Werke stammt aus den Künstlerwerkstätten in Erfurt, Saalfeld, Jena und Altenburg. Sie vermittelt mit ihren zahlreichen Marien-, Christus- und Heiligendarstellungen ein anschauliches Bild des von starker Religiosität geprägten Mittelalters. Jahrhundertealte Heiligenlegenden wie jene des Drachen tötenden Georg veranschaulichen damalige Glaubenswelten. Eine besonders in Thüringen verbreitete Darstellung ist die mystische Jagd eines Einhorns im »hortus conclusus« als Allegorie der unbefleckten Empfängnis Mariens. Sehr spannende Geschichten, durch die wir übrigens auf den Titel der Ausstellung kamen – vielleicht auch als Angebot an die Generation, die mit Harry Potter aufgewachsen, aber weniger mit christlicher Ikonographie vertraut ist.
Was zeichnet den Ausstellungsort, die Mühlhäuser Marienkirche, aus? Wie werden die Kunstwerke dort präsentiert?
Müller: »St. Marien« thront als zweitgrößte Hallenkirche Thüringens weithin sichtbar über dem Zentrum Mühlhausens und ist heute der wohl beliebteste Anlaufpunkt für die Kulturtouristen in der Stadt. In allen Epochen der Geschichte spielte sie als Hauptkirche der Oberstadt eine wesentliche Rolle und zeugt bis heute vom Selbstbewusstsein der mittelalterlichen Reichsstadt. Hier wurden einst die kaiserlichen Rechtsentscheidungen verkündet, hier war die bevorzugte Begräbnisstätte der angesehensten Persönlichkeiten der Stadt, hier predigte der radikale Reformator Thomas Müntzer, hier wurde Fürstentag gehalten und hier erklang zum ersten Mal die Ratswechselkantate des jungen Johann Sebastian Bach.
1975 wurde die Marienkirche freiwillig von der evangelischen Gemeinde an den Staat übertragen und diente seither zugleich als Gedenkstätte für den radikalen Reformator Thomas Müntzer als auch als Museum für Kirchenkunst. Weitere Ausstellungen in den Türmen der Kirche informieren über die Baugeschichte und die historische Steinmetzkunst. Mit der Neupräsentation der Weimarer Sammlung in den vier großflächigen Seitenschiffen werden nun auf über 1.200 Quadratmetern 31 Skulpturen, 18 Gemälde, fünf vollständige Altäre sowie acht Glasmalereien gezeigt. Die Exponate integrieren sich hervorragend in den Raum und machen den originären Charakter von Architektur und Kunstwerken des Mittelalters wieder erlebbar. Die Objekte sind vorzugsweise an den Seitenwänden und vor den Pfeilern präsentiert, so dass sich Raum und Ausstattung aus meiner Sicht kongenial ergänzen. Durch diese Anordnung der Kunstwerke im Kircheninneren ergeben sich zudem wunderbare Blickachsen und visuelle Bezüge der einzelnen Darstellungen untereinander.
Die Ausstellung »Von Einhörnern und Drachentötern – Mittelalterliche Kunst aus Thüringen« ist ab dem 13. November 2018 in der Marienkirche in Mühlhausen zu sehen. Die Schau ist ein Kooperationsprojekt der Mühlhäuser Museen mit der Klassik Stiftung Weimar, gefördert durch die Thüringer Staatskanzlei.
Nabend! Ein sehr interessanter Beitrga! Hab ich wirklich sehr gerne gelesen an diesem Samstag abend :))))…Ich wünsche euch einen schönen Sonntag und sende die besten Grüße aus’m wanderhotel schenna 😉 Bis denne, NOra