Sie konnten nicht nur Kultur!
»Dieser Adel konnte nichts. Nur heiraten und Kultur«, schreibt Tilman Krause in »Die Welt«. Eine Erwiderung von Dr. Bernhard Post, Leitender Archivdirektor des Thüringischen Hauptstaatsarchivs Weimar.
In einem sozialdemokratisch-gewerkschaftlich orientierten Elternhaus aufgewachsen, übernahm ich nach meinem Wechsel von Hessen nach Thüringen im Jahr 1993 zunächst gerne einfach die tradierten Vorurteile gegen die Feudalherrscher und namentlich den peitschenschwingenden letzten Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach, Wilhelm Ernst.
Ein für seine sorgfältige Recherche bekannter Journalist weckte mein Misstrauen: Bei den Vorarbeiten zu seinem Buch »Mythos Weimar« forderte mich Peter Merseburger auf, doch dem seiner Meinung nach allzu stimmig getrimmten Bild vom letzten Großherzog einmal nachzugehen.
Schnell zeigte sich, dass Selbstinszenierungen von Henry van de Velde und Harry Graf Kessler in Tagebüchern und Lebenserinnerungen, mit denen sie ihr Scheitern anderen anlasten wollten, gerne zunächst von der DDR-Geschichtsschreibung als Deutungsmuster übernommen und leider auch danach ungeprüft weiter verwendet wurden.
Kessler glaubte, nach seinem Scheitern als Herausgeber der Kunstzeitschrift PAN wie auch seiner Karriereträume als Diplomat, nun in Weimar als großer Kulturpolitiker auf sich aufmerksam machen zu können. Als er im Zusammenhang mit dem Rodin-Skandal überreizte und sich sogar zu völlig unzeitgemäß gewordenen Duell-Forderungen verstieg, musste ihm der Landesherr das Vertrauen entziehen.
Er »vertrieb« Kessler übrigens nicht – dieser lebte weiter in Weimar und betreute noch viele Jahre die Herausgabe der Wilhelm-Ernst-Gedächtnisausgabe der deutschen Klassiker.
Van de Velde wirkte mehr als zehn Jahre in Weimar, war aber nicht bereit, sich in die Struktur einer modern gedachten Großherzoglich-Sächsischen Hochschule für bildende Kunst integrieren zu lassen. Neben den bildenden Künsten sollten Kunsthandwerk und Architektur unterrichtet werden.
Den Zugang von Frauen zum Studium hatte der »stumpf aus den überlieferten Fotos« blickende Großherzog ohnehin bereits zugelassen.
Dies waren Voraussetzungen, auf denen Walter Gropius 1919 aufbauen konnte. Mit ihm hatte Wilhelm Ernst übrigens bereits 1914 verhandelt.
Die von ihm beauftragten und weitestgehend bezahlten Neubauten der heutigen Bauhaus-Universität und des Deutschen Nationaltheaters gehören heute zu den UNESCO-Welterbestätten. Für den Neubau der Universität Jena zum Universitätsjubiläum 1908 wurde vom Großherzog mit Theodor Fischer einer der bedeutendsten Städteplaner seiner Zeit verpflichtet.
Der Staatshaushalt von Sachsen-Weimar-Eisenach verzeichnete bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs als Ergebnis der Förderung von Landwirtschaft und Industrie jährlich wachsende Überschüsse.
Die für die Volksschulen aufgewendeten Mittel konnten um gut ein Drittel gesteigert werden; ein Aufwuchs, von dem Kultusminister heute nicht einmal zu träumen wagen.
Wie seine Großmutter Sophie, zeichnete er sich durch ein starkes staatliches wie persönliches Engagement im sozialen Bereich aus. Und seine »bedeutenden Geldmittel ließ Wilhelm Ernst zu großen Teilen in die Förderung der Kultur fließen«, liest man bei Wikipedia.
Dass der Spott über die Kleinstaaterei bis heute preußische Propaganda tradiert und sie demgegenüber in der Gegenwart vielmehr »als Horizont und Vorbild heutiger politischer Mehrebenensysteme« zu deuten sind, hat Georg Schmidt in dem gerade erschienenen Aufsatzband »Die Welt der Ernestiner. Ein Lesebuch« (2016) konstatiert.
Großherzog Wilhelm Ernst war ein schwieriger Mensch, verschlossen und gelegentlich jähzornig. Er war in vielen Dingen vorwärtsgewandt, in anderen auch überholten Vorstellungen verhaftet.
Vor allem aber verstand er es nicht, seine unbestreitbaren Verdienste publikumswirksam zu vermarkten.
Andererseits war er ohne Frage überaus verantwortungsbewusst, engagiert und fleißig. Und da er es hasste, wenn seine Beamten schlampig arbeiteten, entließ er auch 1901 den Chef des Kulturdepartements mit den Worten:
»Sie sind nicht genügend informiert.«