Goethe, Schiller und die Weimarer Klassik · Fundstück
»Bildliche Gegenwart«
In den Jahren 1824 bis 1831 legte Goethe eine umfangreiche private Sammlung von Bildnissen befreundeter oder ihm näher bekannter Persönlichkeiten an. Die Portraits – zumeist Brustbilder in natürlicher Größe – wurden vom jungen Weimarer Künstler Johann Joseph Schmeller als Kreidezeichnungen auf getöntem Papier ausgeführt. Von den über 160 bezeugten Bildnissen ist ein großer Teil in Goethes Kunstsammlung überliefert. Sie zeigen enge Freunde und Familienmitglieder, aber auch Weimarer und Jenaer Bekannte sowie Reisende.
Zu den Dargestellten gehörte der Komponist Carl Friedrich Zelter, den Goethe während eines Weimar-Aufenthalts am 11. und 12. Juli 1826 durch Schmeller portraitieren ließ. Dem wenig später nach Berlin zurückgekehrten Freund teilte Goethe am 5. August 1826 mit, dass dessen Konterfei auf einer Staffelei im Haus am Frauenplan stehe und ihm diese »bildliche Gegenwart, als Fortsetzung der wirklichen, höchst erfreulich« sei. In der Tat dienten Schmellers Bildnisse dem Dichter als persönliche Andenken, mit denen er zugleich wichtige Begegnungen für die Nachwelt dokumentierte.
Seine Auftragswünsche teilte Goethe dem »Herrn Zeichenmeister« häufig in kurzen brieflichen Nachrichten wie jener vom 10. September 1826 mit: »Herr Schmeller wird hierdurch ersucht sich morgen früh um neun Uhr bei mir einzufinden, um ein Portrait zu zeichnen, deswegen auch das nöthige Papier mitzubringen«. Als Modell diente die zu Gast weilende Bettina von Arnim, deren exaltiertes Wesen Schmeller mit geübter Hand ins Bild bannte.
Keine fünf Wochen später kam es zu einem weiteren Auftrag, wobei Goethe den Künstler auf direktem Wege dem zu Portraitierenden empfahl: »Ew. Königlichen Hoheit gedachte nach Höchst Ihro Rückkunft eine Bitte mündlich vorzulegen, welche schriftlich zu thun ich mich gegenwärtig entschließe. Es ist nämlich die: Höchst Dieselben mögen Überbringern dieses, dem geschickten Maler Schmeller, erlauben Ihr Bildniß zu zeichnen, damit es, auch in persönlicher Abwesenheit, uns durch seine Gegenwart erfreue«.
Der untertänige Ton war insofern angebracht, als es sich um Herzog Carl Bernhard von Sachsen-Weimar-Eisenach, den Zweitgeborenen des regierenden Großherzogs Carl August, handelte. Der im niederländischen Militär dienende Prinz war kurz zuvor von einer 17-monatigen Reise durch Nordamerika nach Weimar zurückgekehrt, um sich nach einem kurzen Aufenthalt wieder in seine Residenz nach Gent zu begeben. In mehreren persönlichen Gesprächen informierte er Goethe über seine Amerika-Fahrt.
Dieser empfing den Reisenden mit dem Willkommensgedicht »Das Segel steigt« und setzte sich mit Nachdruck für die Veröffentlichung seines Reisetagebuchs ein. Mit der Anfertigung eines Bildnisses konnte Goethe seine Bekanntschaft, die den Auftrag mit wachsam-kritischem Blick verfolgte, auch visuell festhalten, um sie seiner entstehenden privaten Galerie einzuverleiben.
Schmellers selten gezeigte Portraitzeichnung ist noch bis zum 28. August in der Kabinettausstellung »Ich wollte die neue Welt sehen. Die Amerikareise von Herzog Carl Bernhard von Sachsen-Weimar-Eisenach« im Weimarer Stadtschloss zu sehen. Die Schau ist Teil der Thüringer Landesausstellung 2016 »Die Ernestiner. Eine Dynastie prägt Europa«.