Museums-Agenten in Guatemala
Ein Vergleich aktueller Kulturentwicklungen in Guatemala und Deutschland ist nahezu unmöglich. Deutsche Museen haben eine jahrhundertelange Geschichte und nicht zuletzt durch den Nationalstaat im 19. Jahrhundert eine ganz andere Legitimation als „Kulturspeicher“. Das kleine Guatemala hingegen ist geprägt durch eine Kolonialgeschichte, die die Bevölkerung des Landes trotz der so reichen indigenen Kultur nahezu wurzellos gemacht hat. In den letzten fünf Jahrzehnten herrschte Bürgerkrieg und noch heute kämpft das Land mit korrupten Politikern, systematischem Rassismus und extremer Ungleichheit. 40 Prozent der Bevölkerung Guatemalas, des wirtschaftsstärksten und kinderreichsten Lands Zentralamerikas, sind jünger als 14 Jahre – Bildung und Kultur sollten daher zu einem Grundanliegen politischer Bestrebungen gehören.
Doch die Realität sieht anders aus: Schulen sind weitgehend privatisiert und die wenigen staatlichen Museen in der Hauptstadt, die sich nicht nur an ein touristisches Publikum richten, bieten kaum Programm oder relevante Ausstellungen an. Trotz allem gibt es eine junge Kulturszene, die mit innovativen Ausstellungen und Aktionen anderen Ländern in nichts nachsteht. Wer ist also der Motor für Kultur und Museumsentwicklung und was können wir von Guatemala lernen?
Alle zwei Jahre reise ich privat für mehrere Wochen nach Guatemala. Jedes Mal entdecke ich neue Museen oder Gedenkstätten. Doch erst in diesem Jahr hatte ich die Möglichkeit, einen tieferen Einblick zu erhalten. Am 5. Dezember gab ich in der „Fundación Paiz“, einer privaten gemeinnützigen Stiftung, die schon seit über 40 Jahren Transformationsprozesse in Kultur, Kunst und Bildung anregt, im Rahmen eines Workshops unter dem Titel „Museum DIY. How the audience creates cultural Spaces“ Einblicke in das Programm Bauhaus Agenten. Das Publikum bestand aus Museumsdirektoren, Künstlerinnen, Kuratoren, Mitarbeiterinnen der „Fundación Paiz“ sowie aus der Kulturdirektion Guatemala. Schnell stellte sich heraus, dass viele Kolleginnen und Kollegen an ähnlichen Fragstellungen arbeiten. In Gruppen entwickelten wir anschließend gemeinsam Ideen für interaktive Stationen in Museen. Zum Schluss folgten wichtige Fragen: Was ist ohne staatliche Unterstützung umsetzbar und wie aufklärerisch kann die Arbeit von Museen sein, wenn die eigene Landesgeschichte, sei es die Militärdiktatur oder der Genozid an der indigenen Bevölkerung, kaum aufgearbeitet wurde? Die Antwort: Viel wird erst durch bürgerliches Engagement möglich!
Neben den vielen kleinen zeitgenössischen Galerien, einer reichen Streetart-Szene und der bereits seit 40 Jahren von der „Fundación Paiz“ durchgeführten „Biennale de Arte Paiz“, einer der ältesten Biennalen der Welt, möchte ich insbesondere zwei Beispiele nennen:
2004 wurde mit Unterstützung einer privaten Stiftung „Porque estamos como estamos – Darum sind wir wie wir sind“ ins Leben gerufen. Aus der anfangs kleinen Wanderinstallation ist inzwischen eine interaktive, mehrfach überarbeitete Dauerausstellung in städtischer Trägerschaft geworden. Sie gibt mit Fotografien, Videos und Audios einen historischen Überblick über die Bildung sozialer Gruppen sowie deren Folgen, die Auswirkungen des bewaffneten Konflikts und der Friedensverträge. Interaktive Spiele und Gruppenaktivitäten sollen die Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen fördern und über die Rechte aller Bürger aufklären.
Auch das „Casa de la Memoria Taji Kulam“ richtet sich vor allem an die Jugend und verbindet die Arbeit am kollektiven Gedächtnis mit heutiger Aufklärungsarbeit und Empowerment. In beiden Fällen liegt die Bildungsarbeit hauptsächlich in den Händen von Ehrenamtlern und ist von privaten Stiftungen abhängig.
Nach dem Workshop wurde ich von der Kuratorin Josseline Pinto in ein neu entstehendes Museum in die kleine Kolonialstadt Antigua eingeladen. Ich war erstaunt, als ich auf dem Grundstück zunächst eine Familienvilla vorfand. Dort lebt die Sammlerin und Stifterin gemeinsam mit ihrer Tochter – und über 40.000 Kunstwerken!
Josseline Pinto und Museumsdirektor Renato Osoy führten mich anschließend über die Baustelle des künftigen „MAG – Museum de Arte Guatemala“. Der Bau erstreckt sich über drei Geschosse und ist klimatisch bedingt ganz anders aufgebaut als Museen in Deutschland, Außen- und Innenbereiche gehen fließend ineinander über.
Das Foyer befindet sich beinahe unter freiem Himmel und immer wieder begegneten mir Ausgänge zu kleinen Skulpturengärten oder dem künftigen Café. Ein wahrlich offenes Museum. Bereits jetzt ist die Baustelle belebt, neben Pre-Shows gastiert wöchentlich eine regionale Frauen-Musikschule. Künftig wird hier die komplette guatemaltekische Kunstgeschichte von der Maya-Zeit über die Kolonialisierung bis heute ausgestellt. Alles durch das Engagement einer Familie!
Vor über 50 Jahren begann das Ehepaar Palacio guatemaltekische Kunst zu sammeln. Das Hobby wurde zur Leidenschaft und schließlich zur Mission, die Frau Palacio seit dem Tod ihres Ehemannes vor sieben Jahren allein fortführt. Sie gründete eine private Stiftung, um ein Museum gründen zu können. Aufgrund rechtlicher Hürden, die illegalen Finanzgeschäften vorbeugen sollen, musste die Museumseröffnung bereits von 2017 auf 2020 verschoben werden. Doch ihre Motivation ist ungebrochen. Das Team arbeitet nicht an einem privaten Museumstempel, sondern an einem Museum für alle Bürgerinnen und Bürger, das Guatemala zum Inhalt, aber auch zum Adressaten macht. Diese Offenheit kommt nicht von ungefähr, das Museumsteam ist Teil des Ausbildungsprogramms „Agentes Culturales“, der Kulturagenten Guatemalas.
Was eint die genannten Beispiele? Eine positive Beharrlichkeit, ein hohes Maß an Selbstorganisation und professionelle Fundraising-Aktivitäten. Sie zeigen aber auch, und das ist vielleicht die größte Erkenntnis, auch für staatliche Museen wie die Klassik Stiftung Weimar, dass durch die Vernetzung unterschiedlicher Kulturakteure und bürgerliches Engagement anfänglich kleine Interventionen auch ohne große finanzielle Mittel zu Orten mit festen Strukturen und für ein breites Publikum werden können.