Wittumspalais, Tafelrundenzimmer, Jens Hauspurg, 2010, © Klassik Stiftung Weimar, Bestand Fotothek

Emma Hart, Gemälde im Wittumspalais, © Klassik Stiftung Weimar

Inside Weimar – Wenn doch Wände sprechen könnten

Eingebettet im Herzen Weimars, gegenüber dem Deutschen Nationaltheater und dem Goethe-Schiller-Denkmal, liegt das Wittumspalais. Von außen macht die ehemalige Residenz der Herzogin Anna Amalia einen recht unscheinbaren Eindruck. Doch ihre Mauern bargen einst eine Fülle von künstlerischer und intellektueller Energie: sie beherbergten einige der bedeutendsten Schriftsteller, Denker und Künstler des 18. und frühen 19. Jahrhunderts, darunter auch Johann Wolfgang von Goethe, ein enger Bekannter der Herzogin und regelmäßiger Gast ihrer Tafelrunde.

Alexander Mortimore

Alexander Mortimore promoviert an der Oxford University über Edmund Burkes und Goethes Reaktionen auf die Französische Revolution. Im Rahmen des Programms Forschungshospitanzen verbringt er zwei Monate an der Klassik Stiftung Weimar.

Den Raum, in dem er damals saß, gibt es bis heute – und es ist wirklich ein Ort, an dem man wünschte, dass die Wände sprechen könnten. Das Palais schmücken Zeugnisse der hohen Kreativität und Bildung seiner früheren Bewohnerin, deren Dilettantismus  sich aus einer Leidenschaft für Italien und die Antike speiste. Am offensichtlichsten ist dies wohl im »Grünen Salon«, welcher mit all seinen Gemälden und dem dezidiert frühklassizistischen Interieur die Verbundenheit der Herzogin mit dem Land und seinen glanzvollen Ahnen ausstrahlt.

Das ›Malzimmer‹ und das ›Musikzimmer‹ stellen Anna Amalias Kunstsinn und ihre Musikalität zur Schau, letzteres hat ein Klavier und ein Cembalo vorzuweisen. Es war sehr beeindruckend zu erfahren, dass sie auch selbst komponierte.

Das Musikzimmer zeigt ein für einen Briten besonders faszinierendes Gemälde. Es zeigt Emma Hart, die Frau des britischen Botschafters im Königreich Neapel, Sir William Hamilton, mit der die Herzogin während ihrer Italienreisen Bekanntschaft schloss.

Emma Hart gelangte als Lady Hamilton über Nacht zu (zweifelhaftem) Ruhm, war sie doch die Geliebte eines meiner bedeutendsten Landsmänner, Admiral Horatio Nelson, dem Seehelden, der noch heute über den Trafalgar Square blickt.

Statue of Admiral Nelson, © Julian Mason (on Flickr)

Statue of Admiral Nelson, © Julian Mason (on Flickr)

Ein großartiger Besuch endete im »Festsaal«, wo mich die Büsten Rousseaus und Voltaires empfingen. Man fragt sich, wie Rousseau, der die Zivilisation als eine Korrumpierung des unschuldig-kindlichen Naturzustands des Menschen ansah, wohl auf seine »Präsenz« im Domizil einer so kultivierten Person reagiert hätte.

Im Wittumspalais wird auch die klare soziale Schichteinteilung sinnfällig, die während Goethes Zeit in Weimar vorherrschte. Es war beeindruckend zu erfahren, dass das Palais, das dem Bürgertum fast völlig verschlossen war, gleichzeitig eine Prachtstraße überblickte, die nur dem Adel vorbehalten war.

Ich begann darüber nachzudenken, welchen Einfluss solche Abgrenzungen auf Goethes Überlegungen zur sozialen Hierarchie und zur Französischen Revolution gehabt haben mochten, die doch darauf abzielte, jene zu tilgen. Und ich fragte mich auch, was Goethe wohl zu den vielen Läden und Esslokalen gesagt hätte, die jetzt den ehemals so vornehmen Boulevard säumen …

Vom Blog des Forschungsverbunds MWW

Dieser Beitrag erschien auf dem Blog des Forschungsverbunds Marbach Weimar Wolfenbüttel (MWW). Das Deutsche Literaturarchiv Marbach, die Klassik Stiftung Weimar und die Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel gründeten am 1. September 2013 diesen Verbund. Ziel der Partnerschaft ist die intensive Erforschung der einzigartigen Bestände, die die Epochen vom Mittelalter bis zur Gegenwart übergreifen.