Künstler Hannes Möller

Von der »Ästhetik des Morbiden«

Hannes Möller führt seine Bilder an den Ort zurück, an dem die Bücher, die er malt, verbrannten. Nach Weimar. Dorthin, wo seine Kunst den Büchern am nächsten ist, wo beide in Beziehung treten können.

Am Anfang von Hannes Möllers vierzig Werke umfassenden Bild-Zyklen »Brandbücher« und »Aschebücher« steht die Zerstörung. Meterhohe Flammen, die am 2. September 2004 aus der Herzogin Anna Amalia Bibliothek emporsteigen. 50.000 Bände werden vernichtet, 62.000 stark beschädigt. Die erstversorgten und von Hitze und Wasser lädierten Bände erhalten die Bezeichnung »Brandbücher«. Die verbrannten Leidensgenossen werden ihrem Zustand nach als »Aschebücher« betitelt. Eine Kategorisierung, die der Maler Hannes Möller beibehalten hat. Seit 2010 widmet er sich den Büchern der Brandnacht.

Hannes Möller malte mit Original-Asche der verbrannten Bücher.

Hannes Möller malte mit Original-Asche der verbrannten Bücher.

Bis zum 16. Februar 2019 sind seine Bilder noch in Weimar zu sehen. Beim Betrachten der Papierarbeiten fällt auf, dass Asche abbröckelt, sich in den Rahmen sammelt. Dies ist durchaus beabsichtigt. Es ist Original-Asche der verbrannten Bücher aus der zweiten Galerie des Rokokosaals, mit der Hannes Möller gearbeitet hat. So gleichen die Gemälde nicht nur optisch den Vorlagen, sie lösen sich auch ebenso auf. »Mehr Authentizität geht nicht«, sagt Möller, dem es auf die Unmittelbarkeit seiner Kunst ankommt.

Man riecht förmlich das verbrannte Papier, kann Seite für Seite, Rußschicht für Rußschicht identifizieren. Mit Aquarell und Gouache hat Möller unzählbare Nuancen von Schwarz gemalt. Gröbere Aschereste erwecken einen plastischen Eindruck. Es sei auch die »Ästhetik des Morbiden«, die ihn fasziniere.

Blick in die Ausstellung »Brandbücher | Aschebücher« im Studienzentrum

Blick in die Ausstellung »Brandbücher | Aschebücher« im Studienzentrum

Seit mehreren Jahren befasst sich der Künstler mit Bibliotheken, Büchern und verloren gegangenem Wissen. 2007 beginnt er sein »Bibliotheken-Projekt«. In der Cusanus-Bibliothek in Bernkastel-Kues kommt er zum ersten Mal in Kontakt mit jahrhundertealten Büchern. Zunächst malt er Buchreihen in Regalen, dann kleinere Buchblöcke, schließlich einzelne Buchrücken. Gebrauchsspuren, abgewetzte Einbände, rissige Buchrücken – das weckt sein künstlerisches Interesse. »Jedes Buch erzählt eine eigene Geschichte. Der Inhalt mag sich gleichen, die Spuren, die den Umgang mit dem Buchindividuum zeigen, sind stets verschieden«, sagt er.

Vor Ort fotografiert er die Bücher, nimmt die Aufnahmen mit in sein Atelier nahe Frankfurt und beginnt zu malen. Beim Fotografieren verzichtet er auf zusätzliche Ausleuchtung der Regale, arbeitet lieber mit Langzeitbelichtung. Denn auch das Licht einer Bibliothek spiele eine wichtige atmosphärische Rolle. »Bibliotheken bewahren immer ein Stück Kultur. Werden sie mutwillig oder durch ein Unglück zerstört, dann geht mit ihnen immer Wissen verloren«, sagt Möller. Die Unbeständigkeit kultureller Überlieferungen lasse ihn nicht mehr los.

Für Reinhard Laube, Direktor der Herzogin Anna Amalia Bibliothek, machen Möllers Gemälde etwas sichtbar, was nur scheinbar selbstverständlich ist: kulturelle Überlieferung ist etwas sehr Zerbrechliches, Fragiles. Und sie machten deutlich, dass in der alltäglichen Arbeit in einer Bibliothek kulturelle Überlieferung auch neu gestaltet werde. »Es ist nicht selbstverständlich, dass mit den geborgenen Büchern nach dem Brand wieder gearbeitet werden kann, dass sie hergerichtet, alltagstauglich gemacht und für die Nachwelt gerettet werden«, sagt Reinhard Laube.

Natürlich wolle man mit der Ausstellung auch an den Brand erinnern, der die Bibliothek maßgeblich geprägt habe, aber vor allem wolle man nach vorne schauen und das erfolgreiche Brandfolgenmanagement daraufhin betrachten, was es über die Aufgaben einer Archiv- und Forschungsbibliothek aussage. »Die Kunst kann uns in unserer Tätigkeit einen Spiegel vorhalten, dass wir mit sehr zerbrechlichen Materialien umgehen, dass wir eine Verantwortung tragen für die kulturelle Überlieferung und dass wir unsere Arbeit sichtbar machen müssen. Wir brauchen diese Fragen von außen: Wie gehen wir eigentlich mit unseren Beständen um? Was überliefern wir? Was können wir nicht mehr überliefern? Und welchen Auftrag haben wir?«

Die Ausstellung »Hannes Möller – Brandbücher | Aschebücher« ist noch bis zu 16. Februar im Studienzentrum der Herzogin Anna Amalia Bibliothek zu sehen.

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