Ein Foto der Proben: Liese Klahn begleitet im Festsaal des Weimarer Stadtschlosses den Bassbariton Thomas Stimmel.

»Die Liedästhetik Schuberts entsprach nicht der Goethes«

Johann Wolfgang von Goethe und Franz Schubert haben einander persönlich nie kennengelernt. Die Sendung mit Schuberts Liedern sandte Goethe nach Wien zurück. Im Interview spricht der renommierte Musikwissenschaftler und führende Schubertforscher Hans-Joachim Hinrichsen über den bekannten deutschen Liederkomponisten und das Gesprächskonzert »Was Goethe versäumt hat: Schubert in Weimar IV« in der Reihe »Klingendes Schloss«.

Glauben Sie, dass Schubert einen zusammenhängenden Goethe-Zyklus geschrieben hätte, wenn Goethe ihm auf die Sendung der frühen Lieder geantwortet hätte?

Das bleibt der Spekulation überlassen. Ich glaube nicht, dass Schubert sich von der Zustimmung eines Dichters abhängig gemacht hat. Erst während seiner Reifejahre entstanden wirkliche Liederzyklen, beispielsweise »Die schöne Müllerin« oder »Die Winterreise«. Goethe steht gewissermaßen an der Wiege der Idee zum Liederzyklus: Die Gesänge aus »Wilhelm Meister« enthalten das Material, aus dem ein Goethe-Zyklus hätte entstehen können.

Das Gesprächskonzert zeigt mit den »Gesängen des Harfners« einen Auszug aus »Wilhelm Meister« und somit Goethes Lyrik als bedeutenden Katalysator auf Schuberts Weg Richtung Liederzyklus.

Zum ersten Mal in der Konzertreihe »Klingendes Schloss« ist der ca. 190 Jahre alte Hammerflügel aus der Weimarer Werkstatt Friedrich Hippes zu hören.

Zum ersten Mal in der Konzertreihe »Klingendes Schloss« ist der ca. 190 Jahre alte Hammerflügel aus der Weimarer Werkstatt Friedrich Hippes zu hören.

Das Gesprächskonzert steht unter dem Titel »Was Goethe versäumt hat: Schubert in Weimar«. Was hat Goethe denn de facto verpasst?

Goethe hat die elaborierteste Liedkunst seines Zeitalters verpasst. Aus heutiger Perspektive gibt es keinen weiteren zeitgenössischen oder späteren Komponisten, der so geistreich und tiefsinnig mit seiner Lyrik umgegangen ist. Insofern ist eine mögliche Sternstunde der Geistesgeschichte an Goethe vorübergegangen, in der er und Schubert in Kontakt hätten treten können – wie im Falle Johann Friedrich Reichardts oder Carl Friedrich Zelters.

Allerdings entsprach die Liedästhetik Schuberts nicht der Goethes. Im Übrigen wissen wir nicht, ob die Sendung Schuberts tatsächlich ungeöffnet oder nur unkommentiert blieb. Sie enthielt unter anderem die berühmten Stücke »Gretchen am Spinnrade«, »Erlkönig« oder auch »Heidenröslein«.

Am Frauenplan gingen fast täglich derartige Sendungen ein. Vielleicht empfand Goethe Schuberts Musik als zu starke Konkurrentin zur eigenen Lyrik. Nach Goethes Geschmack hätte die Musik eine stärker dienende Funktion erfüllen und die Lyrik eher begleiten als ausdeuten sollen. Der Klaviersatz Schuberts hat hingegen eine ganz eigene ästhetische Würde und bildet mit Lyrik und Stimme ein Gesamtkunstwerk.

Was ist das Besondere an der Präsentation seiner Stücke im Stadtschloss Weimar und wie lassen sich diese im Gesamtwerk verorten?

Das Gesprächskonzert erhebt den Anspruch, durch Hintergrundinformationen zu den Stücken deren Verständnis, aber auch deren Genuss zu erhöhen. Ein wenig wird hier die Situation der bürgerlichen und adligen Salons nachgeahmt. Das waren gesellige Zirkel, in denen die Lieder nur ein Teil einer hoch entwickelten Gesprächskultur gewesen sind. Hinzu kommen, neben der musikalischen Qualität der Interpreten, der historische Flügel und das Ambiente des Saals.

Die drei »Gesänge des Harfners« aus »Wilhelm Meister« stammen aus der frühen Reifestufe des jungen Schuberts. Über dem »Schwanengesang« hingegen ist Schubert gestorben. Erst sein Verleger hat das unvollendete Werk zu einem Zyklus zusammengestellt. Es enthält unter anderem vertonte Gedichte von Heinrich Heine. Das ist spätester, reifster Schubert. Der Besucher erhält einen repräsentativen Ausschnitt des Liederschaffens Schuberts, einen Überblick seiner Entwicklung.

Welche Wirkung erzielten Schuberts Werke zu seinen Lebzeiten und wie gelangten diese an die Öffentlichkeit?

Bekannt war Schubert zu Lebzeiten durch seine Lieder. »Erlkönig« schlug ein wie eine Bombe. Es folgte »Gretchen am Spinnrade«. Danach beginnt eine Erfolgsgeschichte und die Verleger rissen sich um seine Lieder. Bald strahlte sein Ruf auch über Wien hinaus. Im 19. Jahrhundert wurde Schubert aber ausschließlich als Liederkomponist wahrgenommen – zu Unrecht. Sein eigentlicher Wunschtraum – die Opernbühne – scheiterte. Auch Schuberts Instrumentalmusik blieb zunächst unbekannt. Gegen Ende seines Lebens zeichnet sich ein Hoffnungsschimmer ab, als auch Klavierwerke und Kammermusik veröffentlicht wurden.

Von der Verbreitung von Schuberts Liedern bis hin zu Verhandlungen mit Verlegern waren Schuberts Freunde, darunter Joseph von Spaun, Anselm Hüttenbrenner oder auch Franz von Schober, gut in der Wiener Gesellschaft vernetzt und maßgeblich an Schuberts Durchbruch beteiligt. So interpretierte auch der Sänger der Wiener Hofoper Johann Michael Vogl in den Salons die Werke Schuberts – mit und ohne Wissen des Komponisten.

Von insgesamt 600 Liedern Schuberts erschien nicht ein Fünftel zu seinen Lebzeiten. In Deutschland und Frankreich fanden seine Werke auch nach dem Tod noch reißenden Absatz. Allmählich wurden dann auch Klaviersonaten, Streichquartette und Kammermusik veröffentlicht. Schuberts Nachfolger Robert Schumann, Franz Liszt, Felix Mendelssohn Bartholdy und Johannes Brahms trugen durch ihr öffentliches Bekenntnis zu Schubert sicherlich auch zu seiner Bekanntheit bei.

Was hat Sie an Schubert derart fasziniert, dass Sie ihm einen Teil Ihres Lebens widmen?

Das ist schwer zu sagen, oder auch ganz einfach: die Faszination durch seine Musik. Meine Begeisterung für Schubert hat früh in meiner Kindheit begonnen – am Klavier mit »Impromtus« oder auch den »Moments musicaux«. Das geschah zunächst sehr intuitiv. Schuberts Musik ist schwer auf einen Punkt zu bringen und das ist bereits Teil des Faszinosums. Sie beinhaltet einen überwältigenden Reichtum an Melodien und harmonischen Erfindungen, ein breites Oeuvre von Instrumentalmusik bis hin zu Opern. Sie kann heiter, abgründig und schwermütig zugleich sein, wie es in entwickelnder Prosa nicht möglich ist. Das Umschlagen von einer Stimmung in eine andere und wieder zurück kann in einem Moment geschehen.  Ich kann mir kaum vorstellen, dass man so ganz unberührt bleibt.

Das Stadtschloss Weimar lädt am Sonntag, 18. September 2016, 11 Uhr, zum Gesprächskonzert »Was Goethe versäumt hat: Schubert in Weimar IV« mit Hans-Joachim Hinrichsen, dem Bass Thomas Stimmel und Liese Klahn am Hammerflügel ein.

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Hans-Joachim Hinrichsen

Prof. Dr. Hans-Joachim Hinrichsen, geboren 1952, studierte Germanistik, Geschichte sowie Musikwissenschaften an der Freien Universität Berlin. Seit 1999 ist er als Ordinarius für Musikwissenschaft an der Universität Zürich tätig. Er ist Mitherausgeber des »Archivs für Musikwissenschaft« und der »Schubert: Perspektiven« im Franz Steiner Verlag.