Goethe mit der Totenmaske seines Sohnes August © Lydia Keßner

Geheimratsecken: Väter und Söhne

Er ist wieder da. Johann Wolfgang von Goethe – Über die Beziehung zu seinem Sohn und warum August von Goethe nur Scheitern konnte…

Ja, der alte Cranach hatte einen talentierten Sohn, dachte ich ein wenig neidisch. Ich hatte nicht das gleiche Glück. August war ein braver Kerl. Aber er taugte zu nichts. Das Jurastudium hat er nicht beendet, als Ehemann stand er unterm Pantoffel und bei Hofe, naja. Dort haben sie den Studienabbrecher nach einem unbezahlten Praktikum als einfachen Kammer-Assessor eingestellt! Nur dank meiner Patronage erhielt August schließlich einen unbefristeten Vertrag als geheimer Kammerherr. Dass die Stadt ihm das ewige Bürgerrecht verlieh, war auch eher meinem Tun zu verdanken als seinem. Er kam ja viel eher nach der Mutter.

Eigenes Genie jedenfalls belastete August nie. Zudem besaß er noch die Ungeschicklichkeit, mit seiner Mittelmäßigkeit in Weimarer Gesellschaft zu kokettieren.

»Papa ist ein Hüne, ich bin ein Hühnchen«

und ähnlich peinliche Sprüche gab er bereits nach einem Krug Wein preis. Spätestens nach dem dritten sang er Loblieder auf Napoleon.

Sicher, er hatte es nicht leicht. Von vielen wurde er umschmeichelt als mein Sohn, doch selten geliebt um seiner selbst willen. Sogar seine Fehler gehörten nicht ihm, sondern die Leute verkannten und verlästerten ihn meinetwegen. Die Trunksucht? Ja, wenn Vater und Mutter ihm das tägliche Weintrinken von Kindesbeinen an vormachen! So lästerte mancher bei Hofe. Ich konnte das Gerede aufgrund meiner natürlichen Verdienste ertragen, aber mein armer August war all dem hilflos ausgeliefert.

Manchmal frage ich mich, ob ich ihn zu sehr behütet habe. Von seinen vierzig Jahren lebte er nur drei außerhalb des Vaterhauses. Es schien, als wollte er einfach nicht erwachsen und selbständig werden. Maria sagt, es sei heute normal, wenn die Söhne bis ins fortgeschrittene Alter im Elternhaus bleiben – sie nennt es »Hotel Mama« – anstatt auf Wanderschaft zu gehen. Aber damals war es ungewöhnlich.

Also empfahl ich August, er solle es mir gleichtun und einmal nach Italien reisen, um der Enge des Weimarer Hofs zu entkommen. Wenn er nur vieler Menschen Städte und Sitten kennen lernte, so hoffte ich damals, käme er auch drauf, wie sich in Weimar am Frauenplan mit guten Menschen leben lässt.

Doch schon bei seiner Abfahrt beschlich mich ein ungutes Gefühl. Fast schien es mir, als verließe August Weimar, um nicht vor den Augen seines Vaters zugrunde zu gehen. Dann schöpfte ich Hoffnung, als er mir fleißig von seinen Anschauungen der antiken und jüngeren Kunst in Florenz, Venedig, Neapel und Rom berichtete. Er wurde ja überall gut empfangen, da ihm mein Name vorauseilte.

Der Treue unterzeichnete seine Briefe dann auch immer mit »Ihr dankbarer Sohn«. Ich gebe zu, dass ich ein wenig stolz war, wenn ich sie las – mehr ob seiner herzlichen Vaterliebe als über seine weltlichen Verdienste.

Aber was wusste ich damals von seinen wirklichen Gefühlen? »Ich werde keinem Menschen fehlen«, vertraute er einem Freunde an, »glauben Sie mir, hinter meinem närrischen Treiben verbirgt sich ein ernsteres Herz, als man denkt«. So zog August lächelnd und tanzend nach Italien in den Tod, und ich greiser Vater musste erkennen, was kein Vater glauben soll: dass ich einen Sterblichen gezeugt hatte.

Schon in Ligurien brach August sich den Arm bei einem Kutschenunfall und war danach in dreißig Ellen Bandage eingehüllt wie eine lebende Mumie. In Rom raffte es ihn endgültig dahin. Aufgrund seiner Neigung zum Trunk war die Leber auf das Fünffache angeschwollen. Sein Gehirn befand sich in völliger Desorganisation, als eine Ader zersprang und seinem Leben ein Ende setzte – schmerzlos, wie man mir versicherte.

Aber die Todesursache war dem trauernden Vater damals egal. Man brachte mir die Nachricht von Augusts Ableben schonend bei. Ich ließ mir nicht anmerken, wie sehr sie mich erschütterte, und widmete mich sofort wieder meinen naturwissenschaftlichen Studien.

Der brave Kestner sorgte dafür, dass eine Gipsmaske des Toten genommen wurde. Oft habe ich danach noch in Augusts Gesicht geschaut und in seiner ruhigen Miene keine Spur seines Leidens gefunden.

Man hat seitdem Bücher nicht nur über mich, sondern auch über ihn geschrieben. Maria hat mir einige davon gebracht. Es sind nur wenige, und sie machen zu viel Aufhebens von seiner Unwichtigkeit. Von der »Geschichte einer Nebenperson« ist da die Rede: »Zieht er uns nicht durch seine Eigenschaften an, so tut er es durch seine Lage«.

Was für einen Unfug die Germanisten den lieben langen Tag schreiben! Mein Sohn hatte schöne Anlagen und Talente, nur gab er sich von klein auf maßlos dem Unbedingten hin. Mein Name trug dazu bei, dass er sich ganz dabei verzehren musste, um er selbst zu sein. Doch was ist Ruhm schon wert, wenn er dir deine Liebsten nimmt?

Malte Herwig

Der Journalist, Schriftsteller und Literaturkritiker Malte Herwig schreibt für deutsche und internationale Medien, darunter die Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Die Zeit, Welt, Deutschlandradio Kultur, Literaturen, Cicero und New York Times. Als Kulturredakteur des Spiegel machte er unter anderem mit einer Reportage zu Schillers Schädel auf sich aufmerksam.

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