Illustration © Lydia Keßner

Geheimratsecken: Aufruf an PEGIDA

Er ist wieder da. Johann Wolfgang von Goethe – Warum er wieder da ist und was er uns über PEGIDA zu sagen hat. 

Fühle mich augenblicklich wie im Frühling. Die heimliche Nacht mit Ihrer Hoheit war sonderbar erquickend. Wie weggeblasen waren Leid und Last des Alters, als ich ihren lieblichen Busen spähte. Ich schicke mich gerade an, mit fingernder Hand ihre wohlgestaltete Form zu begreifen, da versetzte sie mir eine schallende Ohrfeige.

»Finger weg! Was fällt dir ein? Wer bist du überhaupt?«

Verwirrt betrachtete ich meine Hoheit. Warum denn war sie zu so später Stunde in mein Haus gekommen? Wohl nicht, um über die Neuordnung des Theaterspielplans zu reden. Und nun tat sie zum Überdruss noch, als kenne sie mich gar nicht.

»Das sollte ich wohl eher Euch fragen, Gnädigste«, gab ich entrüstet zurück.

Da sie mich weiterhin mit großen Augen anstarrte und mit dem Staubwedel auf Abstand zu halten trachtete, hob ich beschwichtigend die Hände und bat sie, auf dem Kanapee Platz zu nehmen. Dann platzte es aus ihr heraus.

»Drüben hat das Geld nicht mehr gereicht, deshalb bin ich rüber nach Deutschland. Bei euch ist die Wirtschaft gut«.

Mit Genugtuung stellte ich fest, dass die Kunde meines jahrelangen segensreichen Wirkens als Finanzminister und geheimer Rat am Hof von Sachsen-Weimar offensichtlich bis ins Ausland gedrungen war. Dass die Zarenfamilie knapp bei Kasse war, überraschte mich trotz der berüchtigten Prunksucht am Petersburger Hof.

»Ihr kommt, um Geld von mir zu wollen?« fragte ich misstrauisch. Das Honorar, das Cotta mir für den Zweiten Teil des »Faust« zahlen wollte, hatte ich bereits für die Erweiterung meines Weinkellers verplant.

»Wo fehlt’s nicht irgendwo auf dieser Welt?« antwortete ich mir selbst. »Dem dies, dem das, hier aber fehlt das Geld.« Eher sollte es von der Erde in den Himmel regnen, als dass die Dichter auch noch ihre Mäzene unterstützen.

Sie warf mir einen trotzigen Blick zu

»Ich will keine Geschenke. Ich will nur für meine Arbeit bezahlt werden. Ihr sagt immer, wir würden euch die Arbeitsplätze wegnehmen. Aber meine Arbeit will garantiert kein Deutscher machen«. Wie zum Beweis streckte sie mir ihre schwieligen Hände hin.

Dann berichtete sie mir von den Volksmassen, die in Deutschland jede Wochen auf die Straßen zogen, um im Namen des Abendlandes gegen Fremde zu protestieren. Zehntausende seien es, in Dresden, Köln, München und sogar Suhl. Sie machten ihr Angst. In Dresden, erzählte sie unter Tränen, sei sogar ein Fremder ermordet worden.

»Der Hass schafft Mordlust, Mordlust schaffet Hass«, entgegnete ich betroffen. »Aber das Land, das Fremde nicht beschützt, geht bald unter«.

Während ich so dozierte, spürte ich, dass ihr Blick weicher wurde. Sie nickte und schien sich ein wenig zu beruhigen, als sie sah, dass ich ihre Trauer und Bestürzung teilte.

»Sag, wer sind diese sogenannten abendländischen Idioten und was wollen sie?« begehrte ich zu wissen.

»Patrioten!« seufzte sie. »Sie nennen sich PEGIDA – patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes.«

Der Name kam mir bekannt vor. Ein Einzeller, den ich unterm Mikroskop studiert hatte? Einerlei, es schien ein rechter Unfug zu sein, was diese Leute fürchteten.

»Ein Europäer ist kein Patriot, wenn er nicht liberal ist«, entgegnete ich empört. »Man kann es dem Muselmann nicht verargen, wenn er die Zeit vor Mahomet die Zeit der Unwissenheit benennt und völlig überzeugt ist, dass mit dem Islam Erleuchtung und Weisheit erst beginnen«.

»Das erzählt’ mal denen in Dresden, dann kriegst du gleich auf die Fresse«, erwiderte sie zaghaft.

Rasch entschlossen ergriff ich ihre Schulter und drückte sie – nicht ganz ohne Hintergedanken – an mich. Halb zog ich sie, halb sank sie hin.

»Das werden wir ja sehen, Gnädigste. Ich werde sogleich einen Aufruf dichten, um die Massen zur Ordnung zu rufen«.

Das schien sie zu beruhigen. Sie umschlang meinen Hals und seufzte vielversprechend. Mir schien, als hätte ich schon oft in ihren Armen gedichtet, und leise zählte ich mit fingernder Hand ihr das Versmaß auf den Rücken:

Kennst du das Land, wo die Parolen blühn?
Wo Volkes Kehlen heiser glühn?
Landauf, landab, allhier und da
Schreit Pe-, Bä-, Sü- und Dügida.

Es ist kein schönes Lied, das sie da singen,
Und dabei stets wie trotzig Kinder klingen.
Die gar nichts teilen wollen von den Gaben,
Die sie geschenkt bekommen haben.

Auf einem Kontinent, du kennst ihn gut,
Wo Reichtum herrscht, und keine Not,
Da säen sie nun Hass und Neid
Und schimpfen sich noch Christenheit!

Ihr seid es nicht, das Volk
Der Dichter und der Denker
Ihr dichtet nicht, ihr giftet
Ach geht mir doch zum H…

Zufrieden summte ich das kleine Gedichtchen vor mich hin. Maria schien es zu gefallen, sie kicherte. Nun gut, es waren keine klassischen Hexameter. Aber die Nacht war jung, und ich hatte noch viel Tinte auf der Feder.

Malte Herwig

Der Journalist, Schriftsteller und Literaturkritiker Malte Herwig schreibt für deutsche und internationale Medien, darunter die Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Die Zeit, Welt, Deutschlandradio Kultur, Literaturen, Cicero und New York Times. Als Kulturredakteur des Spiegel machte er unter anderem mit einer Reportage zu Schillers Schädel auf sich aufmerksam.

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2 Kommentare

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    ‪Teilnahmebedingungen: http://www.klassik-stiftung.de/service/teilnahmebedingungen

    Peter Schützhold -
  • Ich verstehe es eher so, daß das Land die fremden Länder schützen sollte, da ihm selbst sonst Unheil blüht.

    Des Weiteren finde ich unsachliche Kolumnen für eine Klassik Stiftung bedenklich. Um über Themen zu Urteilen, sollte man sich damit auseinander setzen. Das abschreiben von pauschalisierten Interpretationen ist wenig hilfreich und entbehrt jeder Rationalität und Realität.

    dfreak -