»Mir wird’s zu viel, ich verschwinde dahin, wo ich hergekommen bin. Auf dem Olymp gibt’s keinen Weihnachtsbaum.« © Lydia Keßner

Geheimratsecken: Abschied

Weimar, den 9. Dezember 2015

Liebe Maria,

wenn Du dieses Zettelgen von meiner Hand findest, werde ich schon fort sein. Meine Zeit ist abgelaufen, im Morgengrauen kommt Schwager Chr. mit seiner Kutsche vorbei und holt mich ab. Ich kann nicht länger unter Euch weilen als Gast im eigenen Hause und Autor, dessen Werk und Ruf längst nicht mehr seine eigene Sache sind, sondern Eigentum der ganzen Welt.

Macht was ihr wollt damit, aber ohne mich.

Gleichwohl weilte ich gerne für Stunden und Tage unter Euch, und es tut mir herzlich wehe, Abschied von Dir zu nehmen: liebste Freundin, die du mir geworden bist! Bitte versteh’, dass ich mich noch vor Weihnachten aus dem Haus schleiche. Glaub mir, es ist besser so.

Alles in der Welt lässt sich ertragen, nur nicht eine Reihe von schönen Tagen.

Ohnehin habe ich mir nie viel aus Weihnachtskram gemacht und meist gearbeitet. Vielleicht, dass ein Gedicht raussprang und ich die Meinen mit poetisch Zuckerbrot beschenken konnte wie diesem:

Bäume leuchtend, Bäume blendend,
Überall das Süße spendend…
Solch ein Fest ist uns bescheret,
Mancher Gaben Schmuck verehret;
Staunend schaun wir auf und nieder,
Hin und her und immer wieder…

So etwas kostet nicht viel und hält lang vor. Wie sich der Großherzog über mein lyrisches Lametta entzückt hat! Sogar die Frau vom Stein ließ sich erweichen.

Manchmal habe ich auch gebastelt für die Kinder. Ich war immer der Ansicht, dass man – wenn überhaupt – erzieherisch wertvolle Geschenke machen soll: Kinder müssen Komödien haben und Puppen.

Mein August hatte ja im Dezember Geburtstag, am Weihnachtstag.

Im Jahr 1800 baute ich gleich ein ganzes Theater für den Kleinen, stundenlang bemalten der brave Baukondukteur Götze und ich das Portal und die Straßendekoration und hatten gar rechte Freude dabei. Schade, dass August die ganze Szenerie durch seine Ungeschicklichkeit bereits zerstört hatte, als ich zwei Tage nach Weihnachten wieder zur Familie nach Hause kam.

War er mir böse, dass ich ihn allein gelassen hatte am Fest?

Dreißig Jahre später mussten wir das Fest ohne ihn begehen, da er zuvor in Rom verstorben war. Vor allem seinen Kindern war es schwer, und ich versuchte, sie so gut wie möglich abzulenken. Ich hatte ihnen vom Frankfurter Weihnachtsmarkt ein Kästchen mit allerlei Gerätschaften für Taschenspieler-Künste besorgt.

Zugegeben, der Gauklerkasten war nicht gerade erzieherisch wertvoll. Aber er brachte sie auf andere Gedanken.

Die duselige Weihnachtsstimmung zerrte mir sowieso immer an den Nerven. An den Weihnachtsfeiertagen betäubte ich mich oft schon zum Frühstück mit einem riesigen Napfkuchen und reichlich Wein, noch bevor die Zuckerbäume geputzt und der Gabentisch arrangiert war.

Den Kindern anderer Leute jagte ich zum Heiligen Fest am liebsten mit Gespenstergeschichten einen Schrecken ein.

Meinen teuren Werther murkste ich am 23. Dezember ab und ließ ihn am Heiligabend seinen letzten Atem pusten.

Verzeih, wenn ich dramatisch klinge. Ich verspreche, lyrisch zu enden.

Es war nicht alles schlecht damals zu Weihnachten. Am Heiligabend 1786 sah ich den Papst im Petersdom von Rom das Hochamt verrichten. Gerne denke ich auch an den Weihnachtsbraten zurück, am liebsten italienischen stuffato, den ich immer höchstselbst tranchierte.

Ich habe sogar – Du wirst staunen – selbst gekocht, um Christiane von den Mühen abzunehmen. Nun ja: den Salat anmachen, das konnte ich.

Einmal habe ich sogar selbst einen neuen Salat erfunden aus eingemachten Gurken.

Der Buchhändler Hoffmann hat 1815 das erste Mal einen Christbaum auf dem Marktplatz in Weimar aufgestellt – aber nicht schon im November! Heute sieht man das Weihnachtsfest ja vor lauter Bäumen nicht mehr.

Ein Jahr darauf beglückte der Dichter Falk ganz Weimar mit seinem »Odufröhliche«. Wenn der wüsste, dass der Gesang heute zur Weihnachtszeit aus jedem Winkel dröhnt!

Mir wird’s zu viel, ich verschwinde dahin, wo ich hergekommen bin.

Auf dem Olymp gibt’s keinen Weihnachtsbaum, aber ich werde Deiner gedenken, wenn ich an meiner alten Zypresse lehne und auf die Erde blicke.

Du konntest mich mit einem Blicke lesen, hast mich aufgehalten, wenn ich am helllichten Tag vor’s Haus am Frauenplan rennen wollte, weil mir in meiner Kutschenunterkunft die Decke auf den Kopf fiel. In deinen Engelsarmen ruhte ich mich aus, wenn ich niedergeschlagen war.

Du hast mich in diesem Jahr reichlich beschenkt, Maria, so nimm nun dies von mir zu Weihnachten:

Gegen so viel schöne Dinge
Weiß ich nicht, was ich dir bringe:
Licht, in dunkler Nacht zu finden;
Becher, die den Wein verbessern,
Feinde von gefüllten Fässern,
Süßigkeit auf Süßigkeiten!

Mach’s gut, pass auf meine Mineraliensammlung auf und dass die Leute ihre Schuhe abputzen, bevor sie mein Haus betreten.

Sei froh und fest!

Dein alter G.

Malte Herwig

Der Journalist, Schriftsteller und Literaturkritiker Malte Herwig schreibt für deutsche und internationale Medien, darunter die Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Die Zeit, Welt, Deutschlandradio Kultur, Literaturen, Cicero und New York Times. Als Kulturredakteur des Spiegel machte er unter anderem mit einer Reportage zu Schillers Schädel auf sich aufmerksam. Seit Januar erscheinen seine Geheimratsecken auf dem Blog der Klassik Stiftung.

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