Macpherson, James: Die Gedichte Ossians, Eines Alten Celtischen Dichters, aus dem Englischen übersetzt von M[ichael] Denis, Aus Der G. [älischen]. J. Bd. 1., 1768, Klassik Stiftung Weimar

Die Gesänge Ossians –
Ein Phänomen erobert Europa

Vor 250 Jahren erschien die erste deutsche Gesamtausgabe der Gesänge Ossians, die sich in der deutschen Literatur einer regen künstlerischen Rezeption erfreute. Goethe setzte dem Werk in den »Leiden des jungen Werthers« das wohl wirkungsmächtigste literarische Denkmal.

James Macpherson (1736-1796), schottischer Dichter, Schriftsteller und Politiker, wurde berühmt für seine angeblichen Übersetzungen der Poesie von Ossian, einem keltischen Kriegerbarden aus dem 3. Jahrhundert. Diese Gedichte, die als »Fragments of Ancient Poetry« (1760), »Fingal« (1762) und »Temora« (1763) veröffentlicht wurden und für die Macpherson den Anspruch erhob, ihr Entdecker zu sein, basierten auf einer Sammlung gälischer Balladen, die Macpherson während seiner Tour durch die schottischen Highlands gemacht und arrangiert hatte.

Schnell verbreiteten sich die Abenteuer der Titelfigur und seines Vaters Fingal. Die vergangene Welt der Helden und Dramen hielt Einzug in Italien, Britannien und Frankreich. Napoleon Bonaparte lobte das Werk in den Himmel. Eine Ausgabe, so heißt es, trug er in einer Tasche bei sich, auch während der Schlachten. Obwohl sie bereits 1805 als Fälschungen entlarvt wurden, hatten die Gedichte bereits Kultstatus erlangt.

Vor 250 Jahren erschienen Ossians Gedichte in der Übertragung von Johann Nepomuk Cosmas Michael Denis (1729−1800). Denis war nicht der erste, der die Deutschen mit Ossian bekannt machte. Aber er war der erste, der eine Nachdichtung im Hexameter, dem Versmaß der Griechen, verfasste.

Fingal, an ancient epic poem in six books; together with several other poems, composed by Ossian, the son of Fingal / transl. from the Galic language by J. Macpherson, 1762, Klassik Stiftung Weimar

Fingal, an ancient epic poem in six books; together with several other poems, composed by Ossian, the son of Fingal / transl. from the Galic language by J. Macpherson, 1762, Klassik Stiftung Weimar

Im Bestand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek finden sich zahlreiche Ausgaben und Teilausgaben des Werkes sowie eine beachtliche Zahl von Übersetzungen aus dem 18. Jahrhundert. Zu den Verfassern gehören heute kaum mehr bekannte Personen. Interessant dabei sind Herkunft und soziales Umfeld dieser Männer. Einige von ihnen waren in militärischen Diensten ihrer Landesherren, andere Mitglieder von Akademien. Selbst ein Privatsekretär im Kabinett des französischen Königs legte eine Übertragung vor. Bis heute inspiriert der »Ossian« Künstlerinnen und Künstler. Verweise finden sich in Werken der bildenden Kunst, in Kompositionen, in der Fotographie, aber auch in Blockbustern des 21. Jahrhunderts wie »Herr der Ringe« und »Harry Potter«.

Auch in der deutschsprachigen Literatur erwachte das Interesse am Faszinosum »Ossian« rasch und es erscheint uns bis in unser Jahrhundert hinein keine Epoche, die ohne Echo geblieben wäre. Bekannte Autoren des Sturm und Drang wie Jacob Michael Reinhold Lenz und Gottfried August Bürger, dann Friedrich Gottlieb Klopstock, Johann Wolfgang Goethe und Johann Gottfried Herder eröffnen den Reigen. Über Charlotte von Lengefeld (später verh. Schiller) und Karoline von Günderode, Hölderlin und Heine im 18. Jahrhundert führt dieser ins 20. Jahrhundert. Auch bei Hermann Hesse (»Unterm Rad«), Joseph Roth (»Radetzkymarsch«) und Arno Schmidt (»Fouqué und einige seiner Zeitgenossen«) finden sich Bezüge und Verweise.

Besonders zwischen dem ausgehenden 18. Jahrhundert und dem Beginn des 19. Jahrhunderts finden zahlreiche enthusiastische Versuche statt, Ossians Geschichte, die ein unentdecktes Land und einen fremden Mythos offenbart, an die schriftlichen Überlieferungen der antiken und der germanischen Mythen- und Sagenwelt zu koppeln. Gleichzeitig verläuft ein Prozess, den Kosmos des Werkes in eigene Überlegungen zu transformieren. Die legendenreiche, fabelumwobene schottische Welt wird zudem als ästhetische und literarische Bereicherung begriffen, als unerwarteter Fundus aus einer viel jüngeren Zeit als jene bekannten Epen der Antike. Auf ihrer Suche nach Herkunft und Ausbildung einer nationalen Identität wurde der »Ossian« zu einer der wichtigsten Quellen.

Eine erstrangige literarische Beglaubigung erhielt der »Ossian« durch Goethes »Werther«, dessen disparate Wirkung auf die zeitgenössische Welt kaum hoch genug eingeschätzt werden kann.

Bis zum 22. Juni ist die kleine Ossian-Ausstellung in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek zu sehen.

Bis zum 22. Juni ist die kleine Ossian-Ausstellung in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek zu sehen.

Macphersons »Ossian« begegnet uns im »Werther« an drei Stellen. Zum Höhepunkt gestaltet sich im zweiten Teil eine spannungsgeladene Szene, in der Werther bei Lotte auftaucht:

»Er [Werther] lächelte, holte die Lieder, ein Schauer überfiel ihn, als er sie in die Hand nahm, und die Augen stunden ihm voll Thränen, als er hinein sah, er sezte sich nieder und las:

Stern der dämmernden Nacht, schön funkelst du in Westen. Hebst dein strahlend Haupt aus deiner Wolke. Wandelst stattlich deinen Hügel hin. Wornach blikst du auf die Haide? Die stürmende Winde haben sich gelegt. Von ferne kommt des Giesbachs Murmeln. Rauschende Welten spielen am Felsen ferne. Das Gesumme der Abendfliegen schwärmet über’s Feld. Wornach siehst du, schönes Licht? Aber du lächelst und gehst, freudig umgeben dich die Wellen und baden dein liebliches Haar. Lebe wohl ruhiger Strahl. Erscheine du herrliches Licht von Ossians Seele.

Und es erscheint in seiner Kraft. Ich sehe meine geschiedene Freunde, sie sammeln sich auf Lora, wie in den Tagen, die vorüber sind. – Fingal kommt wie eine feuchte Nebelsäule; um ihn sind seine Helden. Und sieh die Barden des Gesangs! grauer Ullin! statlicher Ryno! Alpin lieblicher Sänger! Und du sanft klagende Minona! – Wie verändert seyd ihr meine Freunde seit den festlichen Tagen auf Selma! da wir buhlten um die Ehre des Gesangs, wie Frühlingslüfte den Hügel hin wechselnd beugen das schwach lispelnde Gras.

Da trat Minona hervor in ihrer Schönheit, mit niedergeschlagenem Blik und thränenvollem Auge. Ihr Haar floß schwer im unsteten Winde der von dem Hügel hersties. – Düster wards in der Seele der Helden als sie die liebliche Stimme erhub; denn oft hatten sie das Grab Salgars gesehen, oft die finstere Wohnung der weissen Colma. Colma verlassen auf dem Hügel, mit all der harmonischen Stimme. Salmar versprach zu kommen; aber rings um zog sich die Nacht. Höret Colmas Stimme, da sie auf dem Hügel allein saß.«

Der Ausschnitt beeindruckt durch die intensive lyrische Prosa. Die atmosphärischen Landschaftsdarstellungen in wechselnden Tag- und Nachtzeiten werden zum Sinnbild der Geschicke der Figuren im »Ossian«. Sie entwickeln im Verlauf des Vorlesens immensen Einfluss auf die psychische Verfasstheit Lottes und Werthers. Wir haben es hier mit dem innigsten Moment zwischen den beiden Hauptfiguren zu tun. Es ist zugleich ihre letzte Begegnung, der Trennung folgt, und Werthers vorsätzliche Beendigung seines Lebens.

Bis zum 22. Juni zeigt die Herzogin Anna Amalia Bibliothek eine kleine Ossian-Ausstellung aus ihren Beständen im Bücherkubus des Studienzentrums. Am 14. Juni findet im Studienzentrum ein Vortrag mit Lesung und Harfenmusik zum »Ossian« statt. Mehr erfahren Sie hier

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