Brief Johann Wolfgang von Goethes an Schillers Schwägerin Caroline von Wolzogen, 2. April 1827: Dies ist einer von zwei Briefen Goethes, die Josefine Lechner gehörten. © Klassik Stiftung Weimar

Schreiben von Reinhard Heydrich an Fritz Sauckel, NSDAP-Gauleiter in Thüringen, 16. Juli 1941: Damit übersendet Heydrich zwei Goethe-Briefe mit der Bitte, Sauckel möge diese an das Goethe- und Schiller-Archiv weiterleiten. © Klassik Stiftung Weimar

Schreiben Hans Wahls, Direktor des Goethe- und Schiller-Archivs und des Goethe-Nationalmuseums, an Erich Buchmann, den Bürochef von Fritz Sauckel, 26. Juli 1941: Wahl bedankt sich »schönstens« für die Übersendung der zwei Goethe-Briefe. © Klassik Stiftung Weimar

Der Fall Josefine Lechner

Selten sind die Hinweise auf Raubgut so eindeutig wie im Fall Josefine Lechner. In den Akten des Goethe- und Schiller-Archivs stoßen die Historiker auf ein Schreiben aus dem Jahr 1941.

Darin bittet Reinhard Heydrich, der Leiter des Reichssicherheitshauptamts, dem die Sicherheitspolizei und der Sicherheitsdienst unterstellt sind, den Thüringischen Gauleiter Fritz Sauckel, zwei Briefe Goethes für das Goethe- und Schiller-Archiv in Empfang zu nehmen.

Deren Herkunft verhehlt Heydrich nicht:

»Die Briefe wurden 1939 von der Geheimen Staatspolizei bei der Wiener Jüdin Josefine Lechner beschlagnahmt und sichergestellt«.

Schreiben von Reinhard Heydrich an Fritz Sauckel, NSDAP-Gauleiter in Thüringen, 16. Juli 1941: Damit übersendet Heydrich zwei Goethe-Briefe mit der Bitte, Sauckel möge diese an das Goethe- und Schiller-Archiv weiterleiten. © Klassik Stiftung Weimar

Schreiben von Reinhard Heydrich an Fritz Sauckel, NSDAP-Gauleiter in Thüringen, 16. Juli 1941: Damit übersendet Heydrich zwei Goethe-Briefe mit der Bitte, Sauckel möge diese an das Goethe- und Schiller-Archiv weiterleiten. © Klassik Stiftung Weimar

Wenig später kommt Sauckel der Bitte nach. Er nimmt die Schriftstücke entgegen und überstellt sie an das Archiv.

»Schönstens« dankt dessen Direktor Hans Wahl für die »Überlassung der beiden Briefe«.

Die Provenienzforscher tragen Informationen aus verschiedenen Quellen zusammen und können schließlich eine bruchstückhafte Biografie rekonstruieren.

Sie reicht aus, um den Verdacht auf NS-Raubgut zu bestätigen: Am 6. Juli 1870 wird Josefine Perutz in Prag geboren. Sie ist wie ihr Mann Karl Lechner jüdischer Herkunft, gemeinsam leben sie in Wien. Als die Gestapo die Briefe beschlagnahmt, ist die mittlerweile verwitwete Josefine Lechner fast 70 Jahre alt.

Schreiben Hans Wahls, Direktor des Goethe- und Schiller-Archivs und des Goethe-Nationalmuseums, an Erich Buchmann, den Bürochef von Fritz Sauckel, 26. Juli 1941: Wahl bedankt sich »schönstens« für die Übersendung der zwei Goethe-Briefe. © Klassik Stiftung Weimar

Schreiben Hans Wahls, Direktor des Goethe- und Schiller-Archivs und des Goethe-Nationalmuseums, an Erich Buchmann, den Bürochef von Fritz Sauckel, 26. Juli 1941: Wahl bedankt sich »schönstens« für die Übersendung der zwei Goethe-Briefe. © Klassik Stiftung Weimar

Zu dieser Zeit plant Josefine Lechner, in die Schweiz auszuwandern. Im April 1938 wird im Deutschen Reich, zu dem Österreich inzwischen gehört, die »Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden« erlassen.

Jeder Jude muss sein Vermögen, zu dem auch Kunst- und Kulturbesitz gerechnet wird, anmelden und bewerten, sofern der Gesamtwert mehr als 5.000 Reichsmark beträgt.

Mit dieser Verordnung wollen die Nationalsozialisten verhindern, dass emigrierende Juden Vermögen oder wertvollen Kunstbesitz ins Ausland retten können.

Josefine Lechners Erfassungsbogen ist überliefert, Angaben zu den Goethe-Briefen fehlen jedoch.

Brief Johann Wolfgang von Goethes an Schillers Schwägerin Caroline von Wolzogen, 2. April 1827: Dies ist einer von zwei Briefen Goethes, die Josefine Lechner gehörten. © Klassik Stiftung Weimar

Brief Johann Wolfgang von Goethes an Schillers Schwägerin Caroline von Wolzogen, 2. April 1827: Dies ist einer von zwei Briefen Goethes, die Josefine Lechner gehörten. © Klassik Stiftung Weimar

Es ist anzunehmen, dass die Gestapo vor Lechners Emigration ihre Wohnung durchsucht hat. Die beschlagnahmten Briefe gelangen zunächst aus Wien an das Reichssicherheitshauptamt in Berlin und schließlich nach Weimar.

Mit Hilfe der Israelitischen Kultusgemeinde Wien können die Provenienzforscher der Klassik Stiftung Nachkommen Josefine Lechners in der Schweiz ausfindig machen, wo diese 1955 verstorben ist.

Im November 2011 werden die beiden Goethe-Briefe an die Erben zurückgegeben, im Archiv verbleiben Faksimiles.

Die Mobile Vitrine mit dem Fall Josefine Lechner, der Geschichte eines NS-verfolgungsbedingten Entzuges, ist bis Ende Januar 2016 im Foyer des Goethe- und Schiller-Archivs zu sehen.

Zur Reihe »NS-Raubgut in der Klassik Stiftung Weimar«

In den Beständen der Klassik Stiftung Weimar befinden sich unrechtmäßig erworbene Kulturgüter. Seit 2010 sucht die Stiftung systematisch nach NS-Raubgut in ihren Beständen und strebt gemeinsam mit den Verfolgten oder deren Erben gerechte und faire Lösungen an. 2011 hat die Stiftung diese Aufgabe in ihr Leitbild aufgenommen.

In mehreren Fällen konnten als Raubgut identifizierte Objekte an die Erben der einstigen Besitzer zurückgegeben werden. Ab dem 25. November informiert die Mobile Vitrine über »NS-Raubgut in der Klassik Stiftung«. Die Vitrine wird in den kommenden Jahren auf Wanderschaft durch die Foyers der Häuser gehen und besonders interessante Einzelfälle vorstellen.

Am jeweiligen Standort, der alle drei Monate wechselt, werden Objekte vorgestellt, die als NS-Raubgut identifiziert wurden. Zugleich informiert die Vitrine über die Verfolgungsschicksale der früheren Eigentümer.

Zu jedem Fall wird ein Blogbeitrag veröffentlicht.

Romy Langeheine

Romy Langeheine studierte Jüdische Geschichte und Linguistik an der Universität Erfurt, der FU Berlin und an der University of Sussex. Ihre Promotion über den Nationalismusforscher Hans Kohn erschien 2013 im Göttinger Wallstein Verlag. Romy Langeheine arbeitet als selbstständige Kuratorin und Lektorin in Jena.

Die Biografie hinter dem Objekt: Auf der Suche nach NS-Raubgut

Glossar Provenienzforschung

Zum Forschungsprojekt »Provenienzen, Erwerbungskontexte, Erbenermittlung«