Buchkunst der Renaissance – Martin Luthers »Hauspostille«
Bereits 2010 präsentierte die Herzogin Anna Amalia Bibliothek der Öffentlichkeit eine historische Lutherausgabe. Im Jahr 2011 ergab sich nochmals eine Kaufgelegenheit für einen kostbaren, mit leuchtenden Lackfarben bemalten Weischner-Band. Sehr wahrscheinlich stammt er aus derselben Privatsammlung wie die ein Jahr zuvor ersteigerte Lutherausgabe, denn vergleichbare Angebote sind auf dem antiquarischen Buchmarkt äußerst selten.
Der Einband umschließt Martin Luthers »Hauspostille«, eine Sammlung seiner Predigten zur häuslichen Erbauung für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres.
Die vorliegende Ausgabe wurde 1597 bei Donat Richtzenhan in Jena gedruckt und war bisher in keiner deutschen Bibliothek nachgewiesen. Auf Grund des Druckjahres kann als sicher gelten, dass der Einband von Lukas Weischner gearbeitet wurde.
Die besondere Plattentechnik der Weimarer Hofbuchbinder
Johannes Weischner (1515-1589) und sein Sohn Lukas (1550-1609) waren von 1559 bis 1609 als Hofbuchbinder für das ernestinische Fürstenhaus tätig. Sie entwickelten einen ganz eigenen Stil, der für die Geschichte der Einbandkunst von großer Bedeutung ist.
Ein aus technischer Sicht auffälliges Kennzeichen ihrer Arbeit bestand in der Verwendung von teilweise sehr speziellen Formen großformatiger Plattenstempel aus Messing.
Die darauf eingravierten Motive waren zum Teil von vornherein auf die spätere Ausmalung mit Lackfarben angelegt. Ob die gestalterischen Entwürfe von den Buchbindern selbst oder aus ihrem Umfeld kamen, ist nicht bekannt. Ein Teil des verwendeteten Bilderschmucks kann auf Vorlagen aus der Cranach-Werkstatt zurückgeführt werden. So erklärt sich, dass die Lackmalereieinbände der Weischners im 19. Jahrhundert noch der Cranach-Werkstatt selbst zugeschrieben wurden.
Die mit Schafleder überzogenen Holzdeckel des Einbandes der »Hauspostille« sind mit Schließen und Eckbeschlägen aus Messing ausgestattet.
Für die Vergoldearbeiten wurde auf dem Rückdeckel unter anderem eine halbe Großplatte verwendet, die zweifach zum Abdruck kam und dabei um 180° gedreht wurde. Auf dem Vorderdeckel kamen ebenfalls ungewöhnliche Plattenstempel zum Einsatz, darunter eine Rahmenplatte mit den Wappen des Herzogtums Sachsen, der Landgrafschaft Thüringen, der Markgrafschaft Meißen und der Markgrafschaft Landsberg.
Die Mittelplatten zeigen Darstellungen der Kreuzigung und Auferstehung Christi.
Sehr typisch für die Einbände der Weischners ist die in die Komposition des Vorderdeckels einbezogene Mandorla, die in der christlichen Ikonografie häufig göttliche Darstellungen umgibt. Auf dem Rückdeckel wird sie durch eine Raute ersetzt. Weitere religiöse Motive finden sich auf den in hervorragender Qualität ausgeführten Schnittverzierungen. Die Flächen der Buchdeckel füllen dekorativ ineinander verschlungene Blattranken, Bänder, Mauresken und Füllhörner, die verschiedene Blütenformen ausbilden.
Ein Lederhändler als Auftraggeber?
Vor der eigentlichen Hauspostille ist ein gedrucktes, auf das Jahr 1600 datiertes Blatt eingebunden, das als Dedikations- oder Eignerblatt gedeutet werden kann. Es nennt die Namen von Melchior und Margaretha Saugenfinger, gerahmt von einer Bordüre und einer detailreich ausgearbeiteten Konsole im Holzschnitt. Aus historischen Quellen ist bekannt, dass Melchior Saugenfinger Lederhändler in Nördlingen war und u. a. den mitteldeutschen Raum belieferte. Er könnte auch mit Lukas Weischner in Kontakt gestanden haben und der Auftraggeber des vorliegenden Einbandes sein. Private Aufträge stellten für die Werkstatt der Weischners eine zweite bedeutende Einnahmequelle neben den Aufträgen aus dem Fürstenhaus dar. In den Beständen der Herzogin Anna Amalia Bibliothek haben sich einige Beispiele dafür erhalten.
Einbände als Zeugnisse ernestinischer Macht- und Konfessionspolitik
Die repräsentativen Bucheinbände der Weischners zeichnen sich nicht nur durch ihre prachtvolle Ausstattung und technische Innovation aus, sondern sind grundsätzlich auch in einen macht- und konfessionspolitischen Kontext einzuordnen. Meist umschließen sie reformatorisch geprägte theologische Werke, die von den ernestinischen Herzögen in Auftrag gegeben und in Wittenberg, Jena oder Torgau gedruckt wurden.
Ebenso wie die Bücher dienten sie zur Verbreitung reformatorischer Ideen und waren für die Ernestiner zugleich Teil einer »Imagekampagne«, mit der sie sich gegenüber den Albertinern als Vertreter des »wahren Luthertums« herauszustellen suchten.
In ihrer Rolle als Teil einer solchen medialen Strategie sind Bucheinbände bisher nahezu unerforscht. Die Prägestempel mit religiösen Motiven, Bildnissen von Reformatoren und protestantischen Fürsten waren oft mit belehrenden und propagandistischen Texten unterlegt und wurden von Buchbindern in allen reformierten Gebieten des Reiches verwendet.
Der Prachtband aus der Werkstatt von Johannes und Lukas Weischner ist ab 3. April 2015 in der Ausstellung »Cranach in Weimar« zu sehen.
von Matthias Hageböck und Katja Lorenz