Brief Franz Liszts an Großherzog Carl Alexander erworben
Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach und seinen Hofkapellmeister verband ein enges freundschaftliches Verhältnis. In den Tagebüchern Carl Alexanders finden sich vielfach Aufzeichnungen über ihre regelmäßigen Unterhaltungen und Beratungen in Weimar, Ettersburg oder auf Schloss Wilhelmsthal bei Eisenach. Der Briefwechsel zwischen Liszt und dem Großherzog umfasst mehr als 600 Schreiben und reicht von 1845 bis in Liszts Todesjahr 1886.
Die Briefe, die vor allem im Goethe- und Schiller-Archiv sowie im Hauptstaatsarchiv Weimar aufbewahrt werden, zeugen von den weitreichenden Ideen und ambitionierten Plänen, die der Regent und sein »geheimer Minister« für ein »Neues Weimar« verfolgten. Liszts Intentionen, im »Vaterland des Ideals«, wie er die Stadt Goethes und Schillers am 6. Oktober 1846, in einem seiner ersten Briefe an Carl Alexander nannte, auf ein neues Kunstideal zu orientieren, trafen sich schon früh mit den Vorstellungen des damaligen Erbgroßherzogs. Weimar künstlerisch neu zu beleben, war das gemeinsame erklärte Ziel. Projekte wie die Wiedergeburt des Palmenordens, die Bemühungen um die Verwirklichung des Lisztschen Konzeptes einer Goethe-Stiftung oder der Bau des Großherzoglichen Museums waren Themen, die Liszt und Carl Alexander auch in ihren Briefen diskutierten.
Als Hofkapellmeister widmete sich Liszt mit einzigartigem Engagement dem zeitgenössischen Musikschaffen. Bald nachdem er sich 1848 in Weimar niedergelassen hatte, standen die ersten, überaus anspruchsvollen Opern noch weithin unbekannter Komponisten auf dem Spielplan des Hoftheaters: Richard Wagners »Tannhäuser« (1849), »Lohengrin« (Uraufführung 1850) und »Benvenuto Cellini« von Hector Berlioz (1852). Liszts Bestrebungen gipfelten schließlich in einer »Wagner-Opern-Woche« (1853) und zwei »Berlioz-Wochen« (1852 und 1855), die europaweit wahrgenommen wurden und die kleine Residenzstadt schon bald, so schrieb Franz Brendel, zum »neuen geistigen Mittelpunkt für das musikalische Leben Deutschlands« werden ließen.
Doch damit begann das jahrelange mühevolle Ringen des Weimarer Hofkapellmeisters um die Verbesserung der finanziellen und personellen Ausstattung der Weimarer Oper, ohne die eine weitere Realisierung seines innovativen Spielplans nicht möglich war.
»Ich erachte es für unmöglich«,
hatte Liszt am 16. Februar 1853 an Carl Alexander geschrieben,
»unter den Bedingungen äußerster Sparsamkeit, denen die musikalische Kunst hier unterworfen ist, meine Tätigkeit fortzusetzen, auf eine Art, die sowohl des Namens würdig wäre, den die geistige Fürsorge seiner Herrscher Weimar verschafft hat, als auch meines Charakters und des Rufes, den ich zu genießen anstrebe. «
Die Zuschüsse, die der Oper seitens des Hofes bald gewährt wurden, riefen jedoch erhebliche Konflikte zwischen Liszt und der Leitung der Schauspielsparte hervor. Missgunst und Unverständnis standen letzten Endes hinter dem Theaterskandal, den die Uraufführung der Oper »Der Barbier von Bagdad« des »neudeutschen« Komponisten Peter Cornelius im Dezember 1858 auslöste. Liszt, der die Aufführung dirigiert hatte, zog sich danach endgültig von der Leitung der Oper zurück.
Die Zukunft der Weimarer Bühne lag ihm jedoch auch weiterhin am Herzen, und Carl Alexander bedurfte nach wie vor auch in dieser Frage der Ratschläge seines »Ministers«. Im Dezember des Jahres 1860 studierte Liszt, der beste Kenner und erste Förderer der Werke Richard Wagners, im Hoftheater den »Rienzi« ein. Er probte mit der Hofkapelle, hielt aber an seinem Entschluss fest, keine öffentlichen Premieren mehr zu dirigieren. Das Dirigat der Erstaufführung am 26. Dezember 1860 übernahm denn auch Musikdirektor Carl Stör.
Zu dieser Zeit ließ der Großherzog Liszt eine Anzeige über den zu konstituierenden Berliner »Verein zur Hebung der Oper«, mit einem Kommentar des Intendanten des Weimarer Hoftheaters Franz von Dingelstedt, zukommen und erbat seine Meinung darüber. Es handelte sich wahrscheinlich um die »Nachricht« in der »Neuen Berliner Musikzeitung« vom 12. Dezember 1860. Der Verein, dem unter anderem die Berliner Opernkomponisten Richard Würst und Wilhelm Telle vorstanden, beabsichtigte »noch nicht zur Geltung gekommene neue Opern, nach geschehener unpartheiischer Prüfung öffentlich, dramatisirt, zur Aufführung zu bringen«. Die Vereinsmitglieder würden freien Eintritt in alle Aufführungen des Vereins erhalten, heißt es in der Mitteilung, der jährliche Mitgliedsbeitrag betrage 2 Taler.
Am 29. Dezember 1860 antwortet Liszt Carl Alexander in einem vierseitigen, französischsprachigen Brief. Er nimmt die Anzeige zum Anlass, seinerseits den Großherzog nachdrücklich auf die Notwendigkeit einer allgemeinen Neuorientierung des deutschen Musiktheaters hinzuweisen. Die deutschen Theater hätten sich vorrangig auf die Opern Glucks, Mozarts, Beethovens, Webers und Wagners zu konzentrieren, hebt er in seinem Schreiben hervor, und dürften von den »erfolgreichen Werken aus dem Ausland, sei es aus Paris, sei es aus Italien« nicht weiter verdrängt werden. Der Ankündigung des Berliner Vereins und dem beigefügten Kommentar seines Widersachers Franz von Dingelstedt steht er skeptisch gegenüber. Dingelstedt hätte darin äußerst geringschätzig den allgemeinen »Mangel an brauchbaren Neuigkeiten in Oper und Drama« beklagt. So Liszt. Die Anzeige selbst und Dingelstedts Kommentar sind leider nicht überliefert.
Liszt rät Carl Alexander, dem Berliner Vorhaben nicht zu viel Aufmerksamkeit zu schenken, da der Verein kaum »das geistige Vermögen und die notwendigen materiellen Mittel besitze, um auch nur annäherungsweise ans Ziel zu gelangen«. Das Anliegen des Vereins unterstützte er indes vorbehaltlos. Auf diesem Weg habe er sich stets gegen den »merkantilen Empirismus und die Willkür der Kunst, die im allgemeinen die deutschen Theater beherrschen«, gewandt und sich seit Jahren bemüht, »dem Weimarer Theater bessere Wege im Verhältnis zur Oper zu eröffnen«. »Ich kann nur bedauern«, fügt er hinzu, »mich im Widerspruch zu einigen Gepflogenheiten und folglich in diesem oder jenem Fall zu den Menschen zu befinden, die sie pflegen – wie z.B. Herr von Dingelstedt«. Dass seine Ideen und Konzepte im Ganzen nicht verwirklicht werden konnten, besage nicht, dass sie unausführbar wären. Seine Arbeit hätte »ziemlich schnell wunderbare Früchte tragen können«. Weimar sei der »noble Vorrang zu sichern«, an der Spitze aller denkbaren Bemühungen um die »Hebung der Oper« und um den musikalischen Fortschritt zu stehen, betont Liszt noch einmal.
Eine letzte Entwicklung, die Gründung des Allgemeinen Deutschen Musikvereins, wollte der Komponist noch persönlich vorantreiben. Daher legte er seinem Schreiben die diesbezügliche Ankündigung aus der »Neuen Zeitschrift für Musik« bei. Eine schriftliche Reaktion Carl Alexanders ist nicht bekannt. Doch wie von Liszt erhofft, förderte der Großherzog dieses Projekt und übernahm das Protektorat über den Musikverein, der sich schließlich am 7. August 1861 in Weimar konstituierte – wenige Tage, bevor sein »Meister« die Stadt in Richtung Rom verließ.
Der vierseitige Brief vom 29. Dezember 1860 konnte im April 2018 dank finanzieller Unterstützung durch die Freundesgesellschaft des Goethe- und Schiller-Archivs und durch die Deutsche Liszt-Gesellschaft für den Bestand des Goethe- und Schiller-Archivs erworben werden.