Die Skulptur des Achilles im Brückenzimmer von Goethes Wohnhaus, © Klassik Stiftung Weimar

Achilles im 3D-Scan. Berliner Gipsformerei besucht Goethe

Im Gelben Saal von Goethes Wohnhaus treffe ich mich am Montagmorgen mit Frau Krügel, Kustodin für Plastiken des Mittelalters bis 1860 bei der Klassik Stiftung. Es ist Schließtag und ohne die zahlreichen Besucher, die das historische Wohnhaus üblicherweise durchwandern, erscheint mir das Haus noch entrückter als sonst. Doch etwas tut sich im Museum …

Depotmeister Michael Oertel trägt mit Unterstützung des Hausmeisters einen Gipsabguss des Achilles aus dem Brückenzimmer vorsichtig in den Gelben Saal. Dort wird er auf einem Tisch platziert, denn wir erwarten Besuch aus der Gipsformerei der Staatlichen Museen zu Berlin. Die Gipsformerei wurde 1819 gegründet und bietet mittlerweile nahezu 7.000 Abformungen von Originalkunstwerken zum Abguss auf Bestellung an.

Die Mitarbeiter der Gipsformerei benötigen einen 3D-Scan von der Skulptur des Achilles. Daher besuchen uns Miguel Helfrich, Leiter der Gipsformerei, und Thomas Schelper, Kunstformer und Werkstattleiter und Jessica Opitz, TU Berlin, Institut für Mathematik, 3D Labor. Die Scans erfolgen in Kooperation mit der TU Berlin, woher auch der Scanner (GOM Atos I) kommt. Frau Opitz baut diesen auf, kalibriert ihn und macht die Aufnahmen. Sie meint, die Reise nach Weimar war bislang die weiteste Reise des Scanners.

Die Kollegen von Berlin (v.l.n.r. Thomas Schelper, Miguel Helfrich) beraten sich mit Kustodin Katharina Krügel, © Klassik Stiftung Weimar

Die Kollegen von Berlin (v.l.n.r. Thomas Schelper, Miguel Helfrich) beraten sich mit Kustodin Katharina Krügel, © Klassik Stiftung Weimar

Während des Aufbaus fachsimpeln die Kollegen über Abgüsse und Formen. Der Abguss von Achilles, dem Haupthelden der »Ilias« des Homer, stammt vom klassizistischen Bildhauer Christian Friedrich Tieck (1776-1851) aus dem Jahr 1828. Er gehört zu einer Gruppe von 15 mythologischen Skulpturen die einst den Teesalon des Kronprinzenpaares im Berliner Stadtschloss schmückten.

Die Statuette in Goethes Wohnhaus ist die einzig komplett erhaltene.

Die Gipsformerei in Berlin besitzt zwar auch eine Abformung, allerdings fehlen bei ihr die Lanze und der linke Fuß. Mit dem 3D-Scan ist es möglich den Abguss nachzudrucken und als Modell für eine eigene Form zu verwenden. Auch sollen die Scandaten dazu dienen, einen Achilles der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten in Potsdam zu restaurieren.

Der 3D-Scanner wird in Position gebracht und kalibiriert, © Klassik Stiftung Weimar

Der 3D-Scanner wird in Position gebracht und kalibiriert, © Klassik Stiftung Weimar

Goethe selbst besaß zahlreiche Werke von Künstlern der Berliner Bildhauerschule, zu denen neben Tieck u.a. auch Christian Daniel Rauch (1777-1857) gehörte. Viele der Originalgipse in seiner Sammlung hatte er von ihnen geschenkt bekommen – so auch den Achilles.

Goethes Interesse an plastischen Bildwerken war groß. In seinem Schreibtisch fand sich die älteste noch existierende Angebots- und Preisliste der Gipsformerei Berlin von 1824. Er lobte deren Arbeit 1832 mit den folgenden Worten:

»die im Königlichen Lagerhaus errichtete Anstalt, wo unter begünstigendem Einfluß der Behörden der Stukkateur, Herr Seeger, treffliche Gipsabdrücke vorzüglicher antiker und moderner Skulpturen zu billigen Preisen verkauft, aller Aufmerksamkeit wert, geeignet, Kunst zu erwecken, den Geschmack zu läutern und auf das wahrhaft Schöne zu lenken«¹

In der Epoche des Klassizismus erfreuten sich in Gips ausgeführte Reproduktionen antiker und zeitgenössisch-klassizistischer Plastiken großer Beliebtheit.

Messpunkte werden aufgeklebt, © Klassik Stiftung Weimar

Messpunkte werden aufgeklebt, © Klassik Stiftung Weimar

Nachdem der Scanner aufgebaut ist, werden Messpunkte auf die Skulptur geklebt. Der Raum wird verdunkelt, damit der Scanner die Form des Objekts optimal abtasten kann. Der 3D-Scanner nimmt im Streifenlichtverfahren aus unterschiedlichen Perspektiven den Fuß und die Lanze der Skulptur auf. Aus diesen Aufnahmen wird über ein mathematisches Modell vermittels einer speziellen Software auf dem Laptop ein 3D-Objekt berechnet.

Der 3D-Scanner nimmt im Streiflichtverfahren Aufnahmen vom linken Fuß, © Klassik Stiftung Weimar

Der 3D-Scanner nimmt im Streifenlichtverfahren Aufnahmen vom linken Fuß, © Klassik Stiftung Weimar

Der 3D-Scanner nimmt im Streiflichtverfahren Aufnahmen vom linken Fuß, © Klassik Stiftung Weimar

Der 3D-Scanner nimmt im Streifenlichtverfahren Aufnahmen vom linken Fuß, © Klassik Stiftung Weimar

Alle benötigten Teile der Skulptur können dann durch einen 3D-Drucker mit speziellem Gips und einem Bindemittel nachgedruckt werden. Die Replik dient wiederum als Ausgangsmodel für eine Silikon-Form, aus der dann neue Abgüsse geschaffen werden können. Nach dem Druck muss überprüft werden, ob der Detailgrad der ausgedruckten Modelle zufriedenstellend ist oder ob mit traditionellen Methoden nachgearbeitet werden muss.

Für die Aufnahme von der Lanze wird die Spitze abmontiert, © Klassik Stiftung Weimar

Für die Aufnahme von der Lanze wird die Spitze abmontiert, © Klassik Stiftung Weimar

Aufnahme der Spitze der Lanze, © Klassik Stiftung Weimar

Aufnahme der Spitze der Lanze, © Klassik Stiftung Weimar

Die Spitze der Lanze, Software-Darstelllung als 3D-Modell, © Klassik Stiftung Weimar

Die Spitze der Lanze, Software-Darstelllung als 3D-Modell, © Klassik Stiftung Weimar

Auch wenn das Verfahren noch nicht ganz ausgereift ist, erleichtert es die Arbeit bei der Erstellung einer Form enorm. Es ist davon auszugehen, dass in Zukunft originalgetreue Modelle durch den 3D-Scanner und -Drucker nachgebildet werden können.


[1] Zitiert nach Fendt: Die Anfänge der Berliner Gipsformerei in der Werkstatt von Christian Daniel Rauch und im Königlichen Museum, S. 83-90, in: Schröder, Nele –Winkler-Horaček, Lorenz (Hrsg.), … von gestern bis morgen … Zur Geschichte der Berliner Gipsabguss-Sammlung(en), Ausstellungskatalog Berlin (Rahden 2012), S. 85.