Goethe betrachtet konzentriert eine Silhouette. Ölgemälde von Georg Melchior Kraus, 1775, Klassik Stiftung Weimar

À la Silhouette – Ein kurzer Abriss über den Schattenriss

Dass der Schattenriss einmal beliebt werden sollte, war im frühen 18. Jahrhundert nicht abzusehen. Sein Ruf war bescheiden, galt er doch als Kunst der armen Leute. So mag es zunächst verwundern, dass ausgerechnet der Generalkontrolleur der Finanzen unter Louis XV das Schattendasein des Schattenrisses beendete und ihm nicht zuletzt, wenn auch unfreiwillig, seinen Namen verlieh. Um Kosten zu sparen, soll Étienne de Silhouette sein Schlösschen an der Marne ausschließlich mit Schattenrissen dekoriert haben. Ölgemälde waren damals teuer und aufwendig. So galt bald hinsichtlich der preiswerten Kunst: Wer es ihm nachmachte, der machte es à la Silhouette.

Silhouetten Charlotte von Steins und Johann Wolfgang von Goethes, Klassik Stiftung Weimar

Silhouetten Charlotte von Steins und Johann Wolfgang von Goethes, Klassik Stiftung Weimar

Von Frankreich aus verbreitete sich die Silhouettenkunst rasch in ganz Europa. Zu ihrem Erfolg trug nicht zuletzt ein Züricher Pfarrer bei: Johann Casper Lavater war überzeugt, dass von der einfachen Umrisslinie des Gesichts auf den Charakter des Menschen geschlossen werden könne. Auch im Weimar des späten 18. Jahrhunderts wuchs das Interesse an der Physiognomik. Insbesondere Goethe konnte Lavaters Theorie, zumindest anfangs, einiges abgewinnen. Wir können uns Goethe wie auf Georg Melchior Kraus’ Ölgemälde vorstellen, als er für  Lavaters »Physiognomische Fragmente« im Juli 1775 beim Anblick von Charlotte von Steins Silhouette notierte:

Festigkeit
Gefälligkeit unverändertes Wohnen des Gegenstands
Behagen in sich selbst
Liebevolle Gefälligkeit
Naivetät und Güte, selbstfliesende Rede
Nachgiebige Festigkeit
Wohlwollen,
Treubleibend
Siegt mit Nezzen.

Persönlich lernte Goethe Frau von Stein erst einige Monate später kennen, als Herzog Carl August ihn im November 1775 nach Weimar berief und zu seinem Minister machte.

Hesselischer Treffer, aus: Hans Timotheus Kroeber, »Die Goethezeit in Silhouetten«, S. 11

Hesselischer Treffer, aus: Hans Timotheus Kroeber, »Die Goethezeit in Silhouetten«, S. 11

Vom Schatten zur Silhouette

Um einen Schattenriss auch bei Tageslicht herzustellen zu können, erfand der Silhouetteur Leonhard Heinrich Hessel den nach ihm benannten Hesselischen Treffer. Im Studiolo in Schillers Wohnhaus befindet sich ein Nachbau dieser Apparatur, mit der jeder sein Profil à la Silhouette anfertigen kann. Lediglich die Kerze wurde aus Brandschutzgründen gegen eine Glühbirne ausgetauscht.

Nachbau eines »Hesselischen Treffers« im Studiolo in Schillers Wohnhaus. Foto: Constanze Fürst, Klassik Stiftung Weimar

Nachbau eines »Hesselischen Treffers« im Studiolo in Schillers Wohnhaus. Foto: Constanze Fürst, Klassik Stiftung Weimar

Und so funktioniert’s: Auf ein Holzgestell wird zunächst ein großes Blatt Papier straff aufgespannt. Eine Person nimmt seitlich, dicht an der Papierwand Platz. Eine Glühbirne, die auf Kopfhöhe angebracht ist, sorgt dafür, dass Gesicht und Oberkörper ihre Schatten aufs Papier werfen. Nun kann der Silhouetteur auf der anderen Seite des Papiers den Schatten nachzeichnen.

Die Silhouette wird zunächst maßstabsgetreu verkleinert und dann ausgeschnitten. Foto: Constanze Fürst, Klassik Stiftung Weimar

Die Silhouette wird zunächst maßstabsgetreu verkleinert und dann ausgeschnitten. Foto: Constanze Fürst, Klassik Stiftung Weimar

Da zu Goethes Zeiten Silhouetten gern mit Briefen verschickt oder in Büchern gesammelt wurden, verkleinerte der Silhouetteur den Umriss anschließend mit Hilfe eines »Pantographen«, umgangssprachlich auch »Storchenschnabel« genannt, auf ein handliches Format. In der Silhouttenwerkstatt des Studiolo gibt es dazu spezielles Papier: es ist vorne weiß, hinten schwarz. Nun noch Ausschneiden, mit der schwarzen Seite nach oben auf ein weißes Blatt Papier kleben et voilà – aus dem Schatten ist eine Silhouette geworden.

Von Kopf bis Fuß

Bald wurden nicht mehr nur Schattenrisse des Kopfes, sondern des ganzen Körpers erstellt. Dazu erweiterte man den Apparat auf eine Höhe von 6 Fuß, 1,83 Meter, wie sich in einem alten Lehrbuch über Silhouettenkunst nachlesen lässt. Hans Timotheus Kroeber zitiert daraus: »›Die Maschine würde noch höher sein müssen, wenn sich das männliche Geschlecht ebenso durch himmelansteigenden Kopfputz verunzierte, als das weibliche Geschlecht unserer Zeiten‹«.

Silhouette einer Dame der Hofgesellschaft, Klassik Stiftung Weimar

Silhouette einer Dame der Hofgesellschaft, Klassik Stiftung Weimar

Die Silhouettenkunst wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts von der Fotografie abgelöst. Geblieben ist der Drang zur Retusche. Früher richtete der Bleistift krumme Nasen und formte Körper, heute helfen Bildbearbeitungsprogramme.

Wer sich in der Kunst des Schattenrisses versuchen möchte, kann dies im Studiolo in Schillers Wohnhaus tun. Mitbringen muss man nichts. Schritt für Schritt wird alles erklärt – Kindern wie Erwachsenen. Die wohl größte Herausforderung formulierte ein Vater bei meinem Besuch, als er seinen Sohn fragte: »Eine Minute still sitzen, bekommst du das hin?«

Jeden Sonntag können im Studiolo in Schillers Wohnhaus zwischen 11 und 16 Uhr Schattenbilder angefertigt werden. Die Teilnahme ist kostenfrei, nur der Museumseintritt wird bezahlt. Für Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre ist der Eintritt frei.

Zum Programm des Studiolo

Quelle: Hans Timotheus Kroeber: Die Goethezeit in Silhouetten. 74 Silhouetten in ganzer Figur vornehmlich aus Weimar und Umgebung. Weimar, Kiepenheuer 1911.