Pianist und Komponist Stefan Litwin, Foto: Hans Joachim Zylla

6 Fragen an den Pianisten und Komponisten Stefan Litwin

 2014 ist Stefan Litwin wieder zu Gast beim Festival MelosLogos in Weimar. Ein kurzes Gespräch darüber, was ihn mit Imre Kertész verbindet und wo ihm die Stoffe für seine Kompositionen begegnen.

Herr Litwin, Sie sind bereits zum zweiten Mal zu Gast bei den poetischen Liedertagen in Weimar. Was verbinden Sie mit MelosLogos und was wird in diesem Jahr für Sie das besondere hier sein?

Stefan Litwin: Mit MelosLogos verbindet mich vor allem der intellektuelle Anspruch, dass Kunst mehr ist als reine Unterhaltung und auch entsprechend präsentiert werden muss. Die Programme des Festivals sind stets außerordentlich vielseitig, klug und von beeindruckender Seriosität. Das kann nur ein Veranstalter leisten, der von der Materie wirklich etwas versteht und selbständig denkt, statt, wie leider so oft, sich an vermeintlich populären Themen orientiert.

Das Besondere in diesem Jahr ist, dass wir zum 85. Geburtstag von Imre Kertész ein Stück von mir aufführen – die Vertonung einer Passage aus dem »Roman eines Schicksallosen«.

In welcher Beziehung stehen Sie zu Imre Kertész und seinem Roman?

Stefan Litwin: Das lässt sich in wenigen Sätzen kaum beantworten. Auf jeden Fall ist der »Roman eines Schicksallosen« ein Jahrhundertwerk, das zu recht mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde.

In ihm hat Kertész eine neue Form gefunden, um über den »Mythos Auschwitz«, wie er es nennt, zu schreiben. Es ist ein radikaler Ansatz, der das übliche Betroffenheitsritual, wann immer von diesem Thema die Rede ist, verweigert. Indem im Roman ein scheinbar kunstloser literarischer Ton angestimmt wird – erzählt wird aus der Perspektive eines Jugendlichen –, der bewusst Vokabeln der Empörung und des Schreckens ausspart, wird das Grauen des Konzentrationslagers, weil es plötzlich als etwas gewöhnliches, ja logisches erscheint, erst recht hervorgekehrt.

Mein Stück basiert auf einer Schlüsselstelle des Romans, auf jenem Gespräch, das der befreite Junge mit einem Journalisten führt, der von ihm etwas über »die Hölle der Lager« erfahren will. In diesem Dialog wird geradezu paradigmatisch gezeigt, dass es für die Erfahrungswelt des KZs kein Vokabular gibt, welches sie uns – den Nichtbetroffenen – auch nur annähernd vorstellbar machen könnte. – Und was verbindet mich mit Imre Kertész? Tiefe Sympathie und Freundschaft. Seit er nicht mehr in Berlin lebt, ist die Stadt leerer geworden.

Wie kommen Sie zu den Stoffen Ihrer Kompositionen?

Stefan Litwin: Nicht planmäßig, da ich nicht in erster Linie an der Schaffung eines »Oeuvres« interessiert bin, eines »Gesamtwerks« gewissermaßen, das alle musikalischen Gattungen umfasst, wie es von Komponisten früher erwartet wurde.

Ich orientiere mich vielmehr an Stoffen, von denen ich meine, dass sie uns heute etwas zu sagen haben und musikalisch reflektiert werden können. Die liegen förmlich auf der Straße herum. Man muss nur hinsehen oder hinhören.

Folglich sind es besonders gesellschaftspolitische Fragen, also Dinge, die nicht nur mich, sondern viele Menschen angehen. Erst so wird das Komponieren für mich sinnvoll und zur nützlichen Aufgabe. Außerdem entkomme ich dadurch ein wenig der Einsamkeit, die der doch recht langwierige Kompositionsprozess einem auferlegt, und der immer prekärer werdenden Isolation, in welcher sich heute die zeitgenössische Musik befindet.

Das Komponieren und das Spielen – in welchem Zusammenhang steht beides für Sie persönlich?

Stefan Litwin: Beides gehört für mich zusammen. Das Eine geht ohne das Andere nicht – wie das Ein- und Ausatmen.

Der deutsche Musikwissenschaftler Reinhold Brinkmann bezeichnete Sie als einen »echten Virtuosen [und gleichsam] Poeten am Klavier«. Welchem Dichter gleichen Sie wohl am ehesten?

Stefan Litwin: Mir stehen viele Dichter nahe, aber ihrer Werke, nicht ihrer Person oder ihres Charakters wegen. Bertolt Brecht gehört bestimmt dazu. Menschlich bleibt er mir eher fremd, seine Gedichte aber zähle ich zu den bedeutendsten der deutschen Sprache im 20. Jahrhundert.

Von den heute Lebenden berühren mich besonders die Schriften des uruguayischen Schriftstellers und Dichters Eduardo Galeano, der seine Themen ebenfalls im Alltag und auf der Straße findet. Die Verbindung von sozialem Engagement und sprachlicher Schönheit ist bei diesen beiden Dichtern ein hervorstechendes Merkmal, das mich beeindruckt und mir als Komponist einen Weg zeigt.

Herr Litwin, Solokonzerte, Kammermusiken, Lecture Recitals, Kompositionen, Einspielungen – wo geht die Reise als nächstes hin?

Stefan Litwin: In die Schweiz, wo ich mit dem Stimmkünstler David Moss mein für ihn geschriebenes Melodram »The Bells« (nach Edgar A. Poe) aufführen werde.

Stefan Litwin, geb. 1960 in Mexico City, studierte Klavier und Komposition in den USA und der Schweiz. Internationale Konzerttätigkeit. Ausgeprägtes Engagement für zeitgenössische Musik. Zahlreiche Uraufführungen und CD-Produktionen. Zunehmend auch als Komponist tätig. Seit 1992 Professor an der Hochschule für Musik Saar. Von 2003 bis 2005 Fellow amWissenschaftskolleg zu Berlin, und während der Saison 2005/06 Distinguished Artist in Residence am Christ College derCambridge Universität. Seit 2008 regelmäßiger Gast als George C. Kennedy Distinguished Professor and der University of North Carolina at Chapel Hill.