Bauhaus-Exponate im Goethe- und Schiller-Archiv
Mit zwei aufschlussreichen Autographen und einer Druckschrift erinnert die diesjährige „Schätze“-Ausstellung an die Gründung des Staatlichen Bauhauses vor 100 Jahren.
Das Goethe- und Schiller-Archiv zeigt aus seinen reichen Beständen einen eigenhändigen Brief des Bauhaus-Meisters Wassily Kandinsky, handschriftliche Tagebuchnotizen des Weimarer Künstlers Paul Dobe sowie den seltenen Programmzettel eines „Bauhaus-Abends“.
Der 1922 nach Weimar berufene russische Maler und Grafiker Wassily Kandinsky zählt zu den bedeutendsten am Bauhaus tätigen Künstlern. Auf der im Sommer 1923 veranstalteten ersten Bauhaus-Ausstellung war er mit einer Folge von kurz zuvor geschaffenen abstrakten Gemälden und Aquarellen vertreten. Zur selben Zeit besuchte Kandinsky die im ehemaligen Residenzschloss neu eingerichtete „Galerie der Gegenwart“. Hier sah sich der Künstler mit drei seiner früheren, noch der Gegenständlichkeit verpflichteten Werken konfrontiert. Seinem an die Museumsdirektion adressierten Schreiben vom 31. Oktober 1923 ist zu entnehmen, dass er sich mit diesen Arbeiten nicht ausreichend repräsentiert sah:
„[…] In der Abteilung für neue Kunst (Schloß) bin ich mit 3 Arbeiten vertreten – eine Landschaft und 2 Aquarelle – alle älteren Datums, vor 10 Jahren gemalt. Keine dieser Arbeiten ist geeignet, meine Kunst sogar im geringen Maße zu charakterisieren. Wie bekannt, ist mein Gebiet – ,abstrakte’ Kunst, die noch heute vielleicht mehr angegriffen, wie anerkannt ist.
Hier muß jedenfalls eine klare Stellung genommen werden und die Museumsdirektion ist verpflichtet, entweder mich zur richtigen Vertretung meiner Kunst zuzulaßen, oder auf diese Vertretung überhaupt zu verzichten. Falls die Museumsdirektion zu letzterer Entscheidung neigt, wäre es logisch auch die 3 hängenden Arbeiten von mir aus dem Museum zu entfernen, wodurch ich zu Dank verpflichtet würde.”
Auf Kandinskys unmissverständliche Forderung, diese – als Leihgaben aus Privatbesitz gezeigten – Werke zu ersetzen oder zu entfernen, reagierte Wilhelm Köhler, der Direktor der Weimarer Kunstsammlungen, mit entschiedener Ablehnung:
„[…] Mir sind ,Gebiete’ und ,Richtungen’ (gegenständlich-abstrakt usw.) völlig gleichgültig; meine Pflicht ist, innerhalb der durch äussere Verhältnisse gezogenen Grenze im Museum Qualität zu zeigen, einerlei wo ich sie finde oder zu finden glaube. Bei dieser Auswahl folge ich allein meinem Urteil, nach bestem Wissen und Gewissen, und lasse ich mich durch keinerlei von Aussen kommende Einwirkungen beeinflussen. […] Sie werden mir das Geständnis nicht übelnehmen, dass ich als Museumsdirektor zu Zeiten Michelangelos dessen Jugendwerke mit gleicher Achtung behandelt und aufbewahrt haben würde, wie seine späten, auch wenn er selbst es unlogisch gefunden hätte.”
Zwei Jahre später gelang es Köhler, einem wichtigen Förderer des Bauhauses, das in der „Galerie der Gegenwart“ ausgestellte Gemälde „Landschaft mit Fabrikschornstein“ (1910) für die Weimarer Kunstsammlungen anzukaufen. Sein kurzer Briefwechsel mit Kandinsky ist ein Beispiel für die Spannungen im Lager der in Weimar nicht eben zahlreichen Bauhaus-Freunde.
Vergleichsweise kompromisslos war auch der zweite in der „Schätze“-Ausstellung vertretene Künstler. Der seit 1912 in Weimar tätige Zeichner und Fotograf Paul Dobe studierte zeitlebens die geometrischen Strukturen pflanzlicher Formen. Auf Einladung von Walter Gropius hielt Dobe im Wintersemester 1919/20 öffentliche Vorlesungen am kurz zuvor gegründeten Staatlichen Bauhaus. Der Titel seiner Vortragsreihe war programmatisch: „Die Natur als Quelle der Kunst, unter besonderer Berücksichtigung der Gewächse“. Akribisch dokumentierte Dobe in seinem Tagebuch alle Begegnungen mit den Schülern und Lehrern des Bauhauses. Beiden begegnete der zurückgezogen lebende Künstler mit zunehmender Befremdung. Wie seinem Tagebucheintrag vom 28. Juni 1919 zu entnehmen ist, zeichnete sich diese bereits vor dem Antritt seiner Lehrtätigkeit ab. Während er einem Vortrag von Walter Gropius vor Handwerkern und Industriellen noch etwas abgewinnen konnte, fand die daran anschließende gesellige Tanzveranstaltung Dobes entschiedene Ablehnung:
„[…] Vortrag von Gropius über Veredlung des Gewerbes, ruhige, angenehme, offene Erscheinung, wohl gebildet aber nicht besonders. Das Meiste waren auch meine Gedanken, Manches erweckte meinen Widerspruch, seine Bestrebungen für den Arbeiter. Grop[ius] macht den Eindruck eine[s] vorsichtig tastenden Menschen, der überall hin laviert. Dazu passte ganz was später kam, der Tanz in der gewöhnlichsten gemeinsten Art, an dem er teilnahm und die ulkigen Vorführungen, die geboten wurden: ganz fades, dummes, geschmackloses Zeug. Dazu waren ausdrücklich die gekommenen Gäste geladen. Die Schüler, Brönner [Hans Brönner], Dr. Köhler [Wilhelm Köhler], alle amüsierten sich köstlich. Ich verstehe diese Jugend überhaupt nicht. […] Sie benehmen sich, als finge erst mit Ihnen die Kunst an.”
Der unter diesem Eindruck gefasste Entschluss Dobes, am Bauhaus „Predigten“ halten zu wollen, um seine „gute heilige Sache“ zu verfechten, zeigte indes keine Wirkung. Das Interesse der Bauhäusler an Dobes Vorlesungen war so gering, dass sich der Künstler bald ernüchtert zurückzog. Die beschriebenen „Bauhaus-Abende“ zählten dagegen bald zum festen Programm dieser Kunstschule. Sie umfassten Lesungen, Vorträge und musische Darbietungen. Die in der „Schätze“-Ausstellung gezeigte Einladung zu einem Klavierabend mit dem Wiener Pianisten Eduard Steuermann am 21. April 1920 stammt aus dem Nachlass des Direktors der Weimarer Bibliothek, Werner Deetjen. Das avantgardistische Titelblatt bildet das typographische Gegenbild zu Dobes Tagebuch.
Die Ausstellung „Schätze des Goethe- und Schiller-Archivs – Folge V: Rund um Jubiläen“ zeigt noch bis 7. April im Goethe- und Schiller-Archiv neben Schriftstücken u.a. von Clara Schumann, Bettina von Arnim, August von Kotzebue und Theodor Fontane einen Brief von Wassily Kandinsky und ein Tagebuch Paul Dobes.