Kosmos Weimar · Kritik
Wem gehört die Kunst?
»Stoppt die Banalisierung!« – So titelte vor kurzem die ZEIT im Feuilleton (Ausgabe Nr. 13, März 2015, S. 55). Eine Schlagzeile, die sicher das Herz der meisten Leser höher schlagen ließ, trifft sie doch den Nerv all der Bestreben, über die sich die Kulturell-Gebildeten, Kritisch-Aufgeklärten und Gut-Informierten zu definieren und zu schützen suchen. Bloß nie den Anspruch verlieren, so lautet das Mantra des interessierten Feuilletonlesers, der alles sein möchte, außer banal.
Als Brutstätte der gefürchteten wie verpönten Banalität benennt der Autor Wolfgang Ullrich, Professor für Kunstwissenschaften in Karlsruhe, das Kunstmuseum. Dieses sei zur Wirkungsstätte missionarischer Kunstvermittler und – wie explizit vom Autor betont – Kunstvermittlerinnen verkommen, deren ehrgeiziges Ziel darin bestünde, alles für alle möglichst verständlich aufzubereiten. Grundverkehrt, findet der Autor und hat damit Recht im Unrecht.
Bereits der Aufhänger des Beitrags birgt großes Diskussionspotential. Der Autor nimmt hier ein aktuelles Angebot für Barrierefreiheit im Museum – in diesem Fall ein Angebot für sehbehinderte Gäste der National Gallery in London, das Komposition und Farbverlauf von Gemälden auf Tastebene übertrug – zum Anlass, um den vermeintlich aktuellen Anspruch der Kunstvermittlung zu bilanzieren: »Niemand, wirklich niemand soll von der Beschäftigung mit Kunst ausgeschlossen werden.« Ein Anspruch, den der Autor als Parole eines neuen missionarischen Selbstverständnisses der Kunstmuseen benennt. Kunst, so Ullrich, würde als neues Allheilmittel, beispielsweise für Integrationsprobleme, instrumentalisiert. Wörtlich heißt es:
»Die Missionsunrast des Christentums hat eine Nachfolge in der Vermittlungsunrast heutiger Kunstmuseen gefunden.«
Und diese Missionierungswut gehe eben so weit, dass man selbst Blinde sehend machen wolle.
Nun ist aber zum einen Barrierefreiheit nicht mit Kunstvermittlung gleichzusetzen, sondern vielmehr die seit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention 2009 bestehende staatliche Verpflichtung, »kulturelle Teilnahme für alle, insbesondere für behinderte Menschen, zu ermöglichen. Dies gilt auch für Museen.«[1] Zum anderen kann man bereits hier den Kunstbegriff, der Wolfgang Ullrichs Schreiben zu Grunde liegt, hinterfragen.
Wem gehört die Kunst, die hier vermeintlich zu Unrecht für etwaige sozialromantische Zwecke »verdienstvoll oder vergeblich« zweckentfremdet wird? Und wem oder was sollte sie nach Meinung des Autors besser vorbehalten sein?
L’art pour l’art oder Kunst für alle?
Nach Aussage des Autors haben sich Kunstmuseen zu sozialpolitischen Institutionen entwickelt, die, anstatt wie es sich gehört zu sammeln, zu bewahren und zu forschen, sich nun hauptsächlich darauf konzentrieren, Zugänge zu bieten und zu vermitteln. Und das wenn möglich für und an alle, sogenannte »kunstferne Milieus” eingeschlossen: »Fast schon selbstverständlich sind Veranstaltungen für Menschen mit Migrationshintergrund, Programme für Demenzkranke oder Angebote der sogenannten Geragogik für ältere Menschen«, konstatiert Ullrich empört. Ja sogar Angebote für frischgebackene Mütter und Väter mit ihren Säuglingen gäbe es jetzt schon und diese seien auch noch auf die Interessen und Bedürfnisse der Teilnehmer abgestimmt.
»Freizeit« statt »Bildung«. Ja darf das denn?
Ohne es zu wollen spricht Ullrich hier ein großes Lob an die Vermittlungsarbeit innerhalb kultureller Einrichtungen aus. Ist es auch nicht das Ziel der Museen, noch den letzten potentiellen Besucher hinterm Ofen hervorzulocken, so ist doch die Bereitstellung eines vielseitigen und auf die verschiedenen Bedürfnisse potentieller Besucher abgestimmtes Vermittlungsangebot mittlerweile durchaus ein zentrales Bestreben innerhalb der (Kunst-)Museen. Es besteht hierbei jedoch ein feiner Unterschied zwischen dem Anspruch, den Ullrich im Blick hat, jeden um jeden Preis erreichen zu wollen, und einem breitgefächerten Vermittlungsangebot auf Grundlage der verschiedenen Interessen, Bedürfnisse und Anforderungen einer pluralen Gesellschaft. In den Qualitätskriterien für Museen heißt es hierzu: »Vermittler/innen arbeiten für alle und mit allen Besuchern/innen eines Museums. Diese haben jeweils unterschiedliche Bedürfnisse. Die Mitarbeiter/innen für Museumspädagogik entwickeln Angebote für alle Gruppen des Museumspublikums und für potentiell neue Besucher/innen, um möglichst vielen die Teilhabe an kultureller Bildung im Museum zu ermöglichen.«[2] Ist öffentlicher Zugang auf Basis einer demokratisch organisierten Gesellschaft also banal? Und wer gehört eigentlich zu diesem »kunstfernen Milieu«, von dem Ullrich spricht?
Museen verstehen sich heute vermehrt auch als Bildungseinrichtung, ob hier automatisch der tatsächliche Zweck des Museums verfehlt wird und welcher das überhaupt ist, darüber kann und darf gerne diskutiert werden. Fest steht aber, dass diese Funktion der Museen in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen hat. Das Museum ist, zum Beispiel als außerschulischer Lernort, fester Bestandteil ästhetischer, kultureller und politischer Bildung.
Ullrich hinterfragt in seinem Beitrag jedoch nicht nur die Funktion des (Kunst-)Museums als Bildungs- bzw. Vermittlungsstätte, sondern bemängelt auch die Art und Weise der Auseinandersetzung. »Niemals zuvor in der Geschichte wurde mit Kunstwerken so viel gemacht wie heute.« – und das unter einem regelrechten Imperativ der Vermittlung. Hierbei werde die Kunst jedoch lediglich zum bloßen Affektgeber für spontane Assoziationen und Gefühlsäußerungen degradiert. Unter der Vorgabe, bloß niemanden zu überfordern (die kunstfernen Milieus, Sie erinnern sich) käme die kunstvermittelnde Praxis über simple Methodennachahme nicht hinaus.
Das Resultat: Verharmlosung statt Auseinandersetzung, Verkürzung statt intellektueller Aneignung und im schlimmsten Fall: Frustration bei der zur Vermittlungsarbeit verdonnerten Zielgruppe.
Die tatsächliche Bildung (also die des Bildungsbürgertums, versteht sich) bleibe auf der Strecke, heruntergedimmt auf »eine vage Atmosphäre von Kreativität«. Wer noch erwarten wolle, dass Kunst auch wehtun dürfe oder sogar müsse, der würde sich rasch des Vorwurfs elitärer Minderheitenfeindlichkeit schuldig machen, klagt Ullrich.
Interessant ist, dass Ullrich Kunstvermittlung in erster Linie mit niederschwelligen Angeboten für etwaige zu definierende Minderheiten gleichsetzt, die sich vor allem hierdurch auszeichnen, dass es ihnen an den Voraussetzungen für eine anspruchsvolle Auseinandersetzung mit Kunst fehle. Bedeutet ein niederschwelliger Einstieg also automatisch Trivialisierung und damit die von Ullrich angedrohte Banalität?
Und wo fängt Banalität überhaupt an?
In seiner Argumentation geht Kunstvermittlung ganz pauschal auf Kosten einer differenzierten Auseinandersetzung, auf Kosten von Wissen und letztendlich auch auf Kosten der Kunst selbst. Denn, so Ullrich, die Verabsolutierung der Kunst führe schlussendlich zu deren Trivialisierung. Aber ist das tatsächlich so?
Die Ziele innerhalb der Vermittlungsarbeit in Kunstmuseen sind vielseitig. Mitnichten geht es um bloße Inklusion der breiten Masse, deren vermeintlich benachteiligter Randgruppen vor allem »abgeholt« und beschäftigt werden sollen. Vielmehr entwickeln Kunst- und Kulturvermittler, männliche wie weibliche übrigens, sowohl innerhalb ihrer Instuitionen wie auch im internationalen Austausch kontinuierlich Aneignungsformen und Wahrnehmungsstrategien, über die sowohl Wissen als auch Kompetenzen vermittelt werden können. So wird zum Beispiel Wissen im Gegensatz zum 19. und 20. Jahrhundert heute weit mehr über Bilder als über Texte aufgenommen. Nicht eine text- oder wortbasierte Vermittlung allein, etwa in Form Führungen oder Audioguides, führt zu einer veränderten Wahrnehmung, sondern eine sinnliche Wahrnehmung bildet den Ausgangspunkt für den Verstehens-Prozess.
Auch ist die Aneignung von Objekten und Architekturen nicht nur als ein kognitiver Prozess zu verstehen, sondern als ein im weitesten Sinn sinnlich-ästhetischer. Dabei unterscheiden wir zum einen die Wahrnehmung der Materialität, der Objekte und Architekturen, zum anderen Sinneseindrücke, die wir über die Bewegung im Raum aufnehmen. Beide ermöglichen ein vorreflexives Verstehen. Dieses sollte und kann insbesondere in pädagogisch begleitenden Prozessen in einen reflexiven Prozess überführt werden.[3]
Hieraus ergeben sich zentrale Formen der Vermittlung, nämlich Methoden, die die Wahrnehmung im sozialen Miteinander und Austausch intensivieren. Dazu zählt etwa das Abzeichnen von Objekten, das gemeinsame Beschreiben von Gegenständen, aber auch Räume mit Klängen zu bespielen, welches wiederum die Wahrnehmung dieser verändert.
Kunst darf hierbei sowohl wehtun als auch anspruchsvoll sein. Sie kann unter methodischen, ästhetischen, diskursiven, epochalen, politischen, kommerziellen und diversen weiteren Gesichtspunkten betrachtet werden. Sie kann erfreuen, aber auch bilden. Sie kann sogar banal sein, jedoch niemals absolut.
Ullrich schließt seinen Beitrag mit der Forderung nach einer Diskussion zum Sinn von rein zielgruppenorientierten Vermittlungskonzepten. Eine Forderung, der ich wie sicher auch viele andere Kollegen (und Kolleginnen) gerne nachkommen werden. Ebenfalls interessant zu diskutieren wäre zudem die Frage, welche Konsequenzen ein zum Beispiel politisch, ästhetisch-autonomer Kunstbegriff für die museumspädagogische Praxis im Speziellen, aber auch die Museen im Allgemeinen hat.
Let´s talk about it!
Zuerst erschienen auf letstalkaboutarts.com am 9. April 2015. Der Artikel hat eine spannende Diskussion zwischen Förster und Ullrich entfacht. Diskutieren Sie mit!